Reginald Hill
Die letzte Stunde naht
Dass der Dicke, Detective Superintendent Andy Dalziel sich ausgerechnet mit Hilfe von Bachs Musik erholt, und noch dazu in der Kathedrale von York, hätte wohl niemand erwartet.
Politisch unkorrekt
Während er im vorherigen Roman nach einer Bombenexplosion lange im Koma lag, ist er nunmehr wieder im Einsatz, wenngleich ein wenig neben der Spur, aber so frech, politisch unkorrekt und originell wie eh und je, sehr zum Unverständnis seiner Kollegen und besonders seines langjährigen Partners Peter Pascoe.
“Die Musik?“ "Aye. Ihr solltet da mal hin und es euch anhören. Grandiose Akustik. Und der Organist hat heute Morgen seinen Bach geübt. 'Die Kunst der Fuge‘. Mein Lieblingsstück. Ihr wisst doch, was eine Fuge ist. So eine Melodie, die sich immer selbst hinterherjagt, bis sie im eigenen Hintern verschwindet.“
Sonntagsarbeit
Und mit einer Fuge im Dalziel’schen Sinne hat auch dieser letzte Roman von Reginald Hill viel gemeinsam: einfache Motive, viele umeinander kreisende und sich berührende Variationen. Gina Wolfe heuert Dalziel an, damit er ihr bei der Suche nach ihrem vor sieben Jahren verschwundenen Mann, einem Kollegen von ihm, hilft. Ein Killerpaar ist auf sie angesetzt, dessen Absichten immer wieder durchkreuzt werden. Um 8.10 Uhr an diesem Sonntag beginnt das Tagwerk des dicken Kriminalisten, und kurz vor Mitternacht ist es beendet, eingerahmt von Präludium und Postludium; Hill komponiert in dieser Zeitspanne ein gewaltiges Opus, das den kleinen Ort in Yorkshire mit den Machenschaften eines gerissenen Gangsters verbindet, an dem sich bislang das Mid Yorkshire Police Department die Zähne ausgebissen hat.
Sommervergnügen
Goldie Gidmans Sohn, der 'Goldjunge der Tories‘ gilt als künftiger Favorit für die Wahl des Premierministers, doch sein Vater muss alles dafür tun, seine frühen Methoden zu verheimlichen. Und alles meint wirklich alles – politische Berater ebenso wie Auftragsmord.
"Eins war klar, dachte der Dicke. Egal, ob schuldig oder unschuldig, so, wie es heutzutage lief, hatten die politischen Berater ihre Spürhunde längst auf Goldie Gidmans Finanzen angesetzt, bevor sie erst sein Geld und dann seinen Sohn als Geschenk angenommen hatten.“
Am Ende des langen Sonntags gibt es nicht nur einen Toten, und Andy Dalziel hat zu seiner gewohnten Form zurückgefunden – mit einigen Brüchen, Fehlurteilen und unerwarteten Konfrontationen, die von hoher Komik sind. Der Roman, der im Englischen doppeldeutig "Midnight Fugue" heißt, ist so spannend und gut konstruiert, wie man es von Reginald Hill gewohnt ist.
Schade, dass dieser Krimi sein letzter ist - Hill, einer der wichtigsten englischen Krimiautoren ist vor fünf Jahren gestorben. Den Dicken, Andy Dalziel, spät kennenzulernen oder bei seinem letzten grandiosen Auftritt wiederzutreffen, lohnt sich dennoch unbedingt und verspricht ein besonderes Sommervergnügen!
(Lore Kleinert)
Reginald Hill (1936 - 2012), lebte über Jahrzehnte in der englischen Grafschaft Yorkshire, mit zahlreichen Preisen ausgezeichneter englischer Krimiautor
Reginald Hill "Die letzte Stunde naht"
"Midnight Fugue" aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebner
Kriminalroman, Droemer Verlag 2017, 448 Seiten, 22,99 Euro
eBook 19,99 Euro