Robert Galbraith
Böses Blut
Ein Fall für Cormoran Strike
„Sie war die vielleicht gewiefteste Lügnerin, der Strike je begegnet war. Mit ihrem Talent, sich blitzschnell Unwahrheiten auszudenken, ihrem Geschick, plausibel klingende Lügen mit der Wahrheit zu verweben, ohne sich je zu weit vorzuwagen, und der Aura von Ehrlichkeit und Direktheit, mit der sie die Lügen verbreitete, war sie eine Klasse für sich.“
Ausgeprägter Gerechtigkeitssinn
Aber ist sie auch die Mörderin? J.K.Rowling, die ihre Kriminalromane um den Detektiv und Kriegsveteranen Cormoran Strike als Robert Galbraith schreibt, ist eine Meisterin darin, all ihre Personen farbenfroh und höchst lebendig zu entwickeln, und in diesem besonders dicken fünften Band der Serie ist das Panorama involvierter und exzentrischer Beteiligter besonders groß. Vor fast vierzig Jahren, verschwand eine junge Ärztin spurlos, und ihre Tochter beauftragt Strikes Detektei, den alten Fall noch einmal aufzurollen und ihre Mutter zu finden. Robin Ellacot ist inzwischen seine Partnerin, steht vor der Scheidung ihrer wenig glücklichen Ehe und ist mehr denn je entschlossen, das Rätsel um Margot Bamboroughs Verbleib aufzuklären, eine Leidenschaft, die sie mit Strike teilt:
„Dass ihm Selbstmitleid fast völlig fremd war, hatte sie schon des Öfteren in Staunen versetzt. Außerdem schätzte sie an ihm, dass sein Gerechtigkeitssinn so ausgeprägt war wie ihr eigener und er nicht eher ruhte, bis er ein Rätsel gelöst hatte. Doch hinzu kam noch etwas sehr Ungewöhnliches: Ihr war in Strikes Nähe noch kein einziges Mal unbehaglich gewesen.“
Feinfühlige Ermittlerin
Da sie selbst vor Jahren zum Opfer sexueller Gewalt wurde, hat sich die kluge Robin zu einer besonders feinfühligen Ermittlerin entwickelt, deren Verhältnis zu Strike sich im Laufe des Romans dezent verändert, während ihr Widerwillen gegen alltäglichen Sexismus wächst. Beide brauchen Unterstützung, beider Bollwerk gegen Selbstmitleid ist Selbstrespekt ebenso wie Selbstdisziplin, und ihre jeweiligen persönlichen Geschichten fügen sich elegant in die Ermittlungen ein. Galbraith/Rowlings nutzt die Spannung zwischen ihren Ermittlern, deren Agentur inzwischen weitere Angestellte in mehreren Fällen im Einsatz hat, um die umfangreichen Gespräche mit allen noch Lebenden, die der verschwundenen Ärztin begegnet sind, voranzutreiben. Der Transgender-Aspekt, der, von einem britischen Boulevardblatt aufgeblasen und von identitätspolitischen Aktivisten und Aktivistinnen zur Hasskampagne gegen die Autorin umgemünzt wurde, spielt im Roman allerdings überhaupt keine Rolle, offenbar hat man in ideologischem Furor darauf verzichtet, das Buch überhaupt zu lesen.
Erzählerische Fantasie
Dass einer der Verdächtigen, ein Serienmörder sich seiner Opfer mitunter als Frau verkleidet bemächtigte, ist nur eine der vielen kleinen Facetten, die den alten Fall interessant machen; Themen wie Abtreibung, Missbrauch, mörderischer Hass auf Frauen oder Aberglaube bereitet Rowling mit Sorgfalt und Mitgefühl mit den Benachteiligten der britischen Gesellschaft auf. Was diesen Roman – trotz etlicher Überlängen und Abschweifungen – lesenswert macht, ist Rowlands große erzählerische Fantasie, ihre Geduld im Aufbau der vielfältigen Wendungen des Falles und ihr Interesse an den Auswirkungen von Brutalität und Bösartigkeit.
„Nicht zum ersten Mal dachte Robin darüber nach, wie viele Kollateralschäden jedwede Gewalttat nach sich zog. Auch im Leben der Schwestern Bayliss hatte Margot Bamboroughs Verschwinden Verwüstungen angerichtet, und seit Robin wusste, wie viel Kummer es ihnen beschert hatte und wie schmerzhaft die Erinnerungen daran waren, brachte sie großes Verständnis für Edens ursprüngliche Weigerung auf, mit den Detektiven zu reden. Sie fragte sich, was die Schwestern bewogen hatte, ihre Meinung zu ändern.“
Unscharfe Erinnerungen
Und Fragen wie diesen geht der Roman über den Zeitraum eines Jahres akribisch nach, prüft alle Zeugenaussagen, auch die derer, die vom Tod der jungen Ärztin profitiert haben. Durch ein Geflecht unscharfer Erinnerungen und ein Labyrinth von Lügen nähert man sich mit den Detektiven auf verschlungenen Wegen – der Wahrheit einer Toten.
(Lore Kleinert)
Robert Galbraith ist das Pseudonym von J.K. Rowling, *1965 in Yate/England, Autorin der Harry-Potter-Reihe
Robert Galbraith "Böses Blut"
Ein Fall für Cormoran Strike
"Troubled Blood" übersetzt von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz
Blanvalet 2020, 1200 Seiten 26 Euro
eBook 19,99 Euro, AudioCD 18,34 Euro
Weiterer Buchtipp zu Robert Galbraith
Der Ruf des Kuckucks