Ian McGuire
Der Abstinent
Manchester, November 1867: Drei Männer werden öffentlich hingerichtet, erhängt wegen Mordes an einem Polizisten. Irische Nationalisten, deren Tod von den ‚Fenians‘, irischen Rebellen gegen die britische Herrschaft, genutzt wird, um ihren Kampf zu radikalisieren.
Bitterarme Arbeiterklasse
Der irische Polizist James O’Connor soll für die Polizei Manchesters die Aufrührer beobachten, unter seinen englischen Kollegen bleibt er ein Außenseiter, obwohl er die Nöte der bitterarmen irischen Arbeiterklasse besser einschätzen kann und weiß, dass Terror und Härte nichts bewirken werden.
„So eine Hinrichtung hat etwas Erhabenes, das muss O’Connor zugeben – als sähe man, wie ein schönes Haus abbrennt oder ein großes Schiff sinkt. Zumindest einen kurzen Augenblick kommt es einem dabei vor, als sähe man direkt ins Herz von etwas, als wäre die ganze Scham der Welt kurz abgefallen und übrig bliebe nur des Pudels Kern.“
Als O’Connor einen Fehler macht, werden seine Spitzel und Informationszuträger umgebracht, von einem Mann, der von den Fenians eigens dazu aus den USA geholt wurde. Zwischen diesem Stephen Doyle und dem Constable entbrennt ein erbitterter Zweikampf, der den alten Mustern von Gewalt und Vergeltung folgt.
Aussichtsloser Kampf
Als O’Connors Neffe hineingezogen wird, beginnt alles aus dem Ruder zu laufen: der Abstinent O’Connor, der nach dem Tod seiner Frau abstürzte und sich fing, beginnt wieder zu trinken, und sein Widersacher Doyle, der mit dreizehn in die USA kam, entfloh den Misshandlungen durch seinen Onkel, indem er Soldat wurde und im Bürgerkrieg kämpfte.
„In der Hitze des Gefechts leert sich der Kopf, und man weiß nicht mehr, wer man ist. Das ist der Grund, aus dem er weiterkämpft, der wahrste, tiefste Grund – nicht für den Ruhm und die gemeinsame Sache, sondern für diese Augenblicke außerhalb der Zeit, seien es Minuten oder Stunden, in denen die Welt wild ihre Trommel schlägt und er sich ohne jedes Nachdenken ganz auf ihren Takt einlässt.“
Ian McGuire bettet den aussichtslosen Kampf beider Männer in die ebenso anschauliche wie genaue Schilderung der elenden Lebensverhältnisse und der permanenten Demütigung der Iren im Vereinigten Königreich ein. Beide Männer sind durch ihre Herkunft verbunden, und ihre Gewaltgeschichte wird sie nicht loslassen, wenngleich sie ihren jeweiligen Spielraum unterschiedlich nutzen.
Gründliche Recherche
Ian McGuire versteht es, Hundekämpfe und Kneipenschlägereien gleichermaßen lebendig in Szene zu setzen wie fragwürdige Polizeiarbeit. Er führt in die elenden Gefängnisse und die ärmlichen Farmhäuser mit empathischem Blick auf die Menschen und präziser Kenntnis ihrer Art zu sprechen. Die Zeit der Industrialisierung im englischen Kernland rückt bedrückend nah und wird als Resonanzraum spürbar, denn der Autor hat ihre Geschichte gründlich recherchiert, ohne belehrend zu wirken.
„Alles ist anders, denkt O’Connor, und doch ist alles gleich. Zeit wird zu Erinnerung, und die Erinnerung wird zu dem Graben, in dem wir ertrinken.“
(Lore Kleinert)
Ian McGuire, *1964, britischer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler
Ian McGuire „Der Abstinent“
Aus dem Englischen von Jan Schönherr
Roman, dtv, 336 Seiten, 23 Euro
eBook 18,99 Euro, AudioCD 22,99 Euro