Will Dean
Die Kammer
„Fünf Minuten bis Mitternacht. Auch jetzt haben wir kein zuverlässiges Zeitgefühl in der Kammer. Auch kein Raumgefühl. Wir leben ein paar Zentimeter von der realen Welt, eurer Welt entfernt, von einer Welt, in der die üblichen Regeln und Gesetze gelten, und doch existieren wir in einer völlig anderen Sphäre…Während der Zeit unter Druck sind wir einerseits unantastbar, andererseits total verletzlich.“
Isolation
Während Ellen Brooke über die Bedingungen in der kleinen Druckkammer nachdenkt, sind zwei ihrer fünf Taucher-Gefährten bereit tot, und niemand weiß, warum. Die geplanten und außerordentlich gut bezahlten 28 Tage, die sie als Sättigungstaucher auf dem nördlichen Meeresboden Reparaturarbeiten verrichten sollten, wurden sofort abgebrochen. Doch bis die Kammer wieder geöffnet werden kann, müssen die Taucher sich vier Tage lang der Dekompression unterziehen, weil sie sonst sofort sterben würden.
Der britische Schriftsteller Will Dean lässt uns miterleben, wie lang diese Zeit werden kann: Sind die beiden an unbekannten Viren gestorben? Wurden sie ermordet? Werden sie alle als Versuchskaninchen missbraucht? Und wie wird es weitergehen, in der Isolation der kleinen Kammer, wer wird der Nächste sein? Oder auch DIE Nächste – aus Ellens Perspektive, die Kopfkissen ihrer Kinder dabei hat, um ihnen nah zu sein, lernen wir die anderen Taucher kennen, den erfahrenen Jumbo aus Liverpool, den Neuling Tea-Bag, den stillen Familienvater Spock, den ehemaligen US Navy-Soldaten Mike und André, den drahtigen Schweisser, der lange Passagen aus Shakespeare-Dramen zitieren kann.
„Wenn man durch die Tür, durch die man reingekommen ist, nicht mehr nach draußen kann und wenn man nicht viel Muße und Zeit für sich hat, muss man anders reisen. Buchstäblich durch Zeit und Raum.“
Vertrauen
Zunächst noch zu sechst erzählen sie sich ihre Erinnerungen an Jobs und Lehrgänge, teilen Erfahrungen miteinander, die sie unter normalen Arbeitsbedingungen vielleicht eher für sich behalten hätten, denken aber auch an gegenseitige Hilfe, ohne die mancher Tauchgang tödlich geendet hätte. Die meisten kannten sich schon länger, bevor sie den gefährlichen und lukrativen Job als Sättigungstaucher wählten. Die Hilfe von außen ist fein ausbalanciert, und jedes kleine Detail im Leben in der Druckkammer hat eine wichtige Bedeutung, das Essen, die Verdauung, die Möglichkeit zu schlafen, sich zu reinigen, einander zu helfen oder sich auch mal abzugrenzen.
„Aus diesem Grund verdächtigen wir einander keines falschen Spiels. Wir verlassen uns aufeinander. Wir vertrauen einander bedingungslos, und wir brauchen einander. Alles andere ist undenkbar.“
Albtraum
Will Dean verbindet alle Elemente eines psychologischen Thrillers mit den authentischen Arbeitsbedingungen, denen Sättigungstaucher ausgesetzt sind: der Enge, der realen Gefahr durch Material- oder menschliches Versagen, der körperlichen Anstrengung, die auch mental einen hohen Preis fordert. Und während es vier Tage lang weitere Tote gibt, wird man sich als Leser und Leserin zum weiteren, imaginären Mitglied der Crew, eingeschlossen in einem klaustrophobischen Albtraum aus Furcht und Hitze, aus dem kein selbstgewählter Ausweg möglich scheint. Und an der Seite einer Frau, die alle Möglichkeiten in Betracht ziehen muss, um zu überleben, um jeden Preis.
„Dein Herzschmerz oder deine verlorenen Lieben interessieren das Meer nicht. Deine Ängste, deine Träume, deine sterblichen Begierden sind ihm egal. Das Meer kennt nur sich selbst; die ganze Welt umrundend, bedeckt es die Tiefen und verbirgt Wahrheiten ebenso wie Schrecknisse. Das Meer kann Liebe nicht von Hass unterscheiden.“
(Lore Kleinert)
Will Dean, aufgewachsen in den englischen East Midlands, Studium an der London School of Economics, englischer Krimi-Autor, lebt in der Nähe von Göteborg/Schweden
Will Dean „Die Kammer“
aus dem Englischen von Sepp Leeb
Thriller, Verlag Hoffmann und Campe 2025, 402 Seiten, 18 Euro eBook 14,99 Euro