William Shaw
Kings of London
London im Herbst 1968 – es regnet, und in einem ausgebrannten Haus in Carlton Vale finden Feuerwehrmänner eine verkohlte Leiche. Für Sergeant Cathal Breen, den alle wegen seiner irischen Herkunft Paddy rufen, eine willkommene Ablenkung von seinem kranken Vater.
Zwei Tote
Als der währenddessen allein im Krankenhaus stirbt, verbeisst er sich in den Fall, obwohl es keine Anhaltspunkte für ein Verbrechen gibt – bis er seinen Kollegen auf die Nerven geht, Vorwürfe von seinem Vorgesetzten bekommt und den Fall aufgibt. Nach einer Explosion in einem viktorianischen Haus wird eine weitere Leiche gefunden, und Breen findet zusammen mit seiner Kollegin Tozer heraus, dass der Sohn eines Labour-Staatssekretärs das Opfer ist, ein Drogendealer aus dem überschaubaren Teil von London, den man begann, "Swinging" zu nennen.
Brandanschlag
Doch auch bei diesem Fall türmen sich Schwierigkeiten auf:
"Er kroch ins Bett und dachte darüber nach, wie seltsam das Jahr gewesen war. Er bekam es kaum zu fassen. Es kam ihm immer mehr vor wie eine Aneinanderreihung bizarrer Ereignisse, die wie ein Sturm um ihn herumwirbelten, alle möglichen Einzelteile flogen ihm dabei um die Ohren."
Ein Brandanschlag wird auf den gründlichen Polizisten verübt, er erfährt politischen Druck und Mobbing von Kollegen, was damals noch nicht so hieß, in einer Zeit rassistischer und sexistischer Gewalt auch in Polizeirevieren. Nur Helen Tozer, Anfang 20, die den Polizeidienst verlassen will, um auf dem Bauernhof ihrer Eltern zu helfen, steht ihm zur Seite und genießt es sogar, in die schillernde und drogengeschwängerte Kunstszene Londons mit ihren Hippiekommunen vorzudringen.
Was sie dabei erfährt, hat mit sexueller Befreiung und Bewusstseinserweiterung nur wenig zu tun.
"Ich finde das unheimlich, weißt du", sagte Tozer. "Die machen das nicht, weil sie wollen. Jedenfalls nicht die Mädchen. Die müssen das machen, wenn nicht, sind sie spießig. Verstehst Du, was ich meine? Ich könnte mich selbst nie so gering schätzen."
Londons verborgene Ecken
Mit den beiden so unterschiedlichen Polizisten durch das London einer anderen, vielfach idealisierten Zeit zu streifen und Londons verborgene Ecken unter der glitzernden Oberfläche, seine Galerien und Freaks kennenzulernen, ist ein großes Vergnügen, denn William Shaw kennt die Szenerie als Reporter für Themen zwischen Pop- und Subkultur bestens. Er beschreibt sie in poetischen, dunklen Tönen, angereichert mit britischer Ironie, vor allem in den großartigen Dialogen. Und sein Ermittlerpaar verfolgt man auch in diesem zweiten Roman mit Spannung und Interesse an ihrer Entwicklung, die eng mit den Herausforderungen der Großstadt verbunden ist.
Originell und lebensecht
Beide sind Außenseiter – der Mann mit der verachteten irischen Herkunft und dem Wunsch, zeichnen zu lernen, und die Frau, die als Polizistin kaum mehr darf als den Verkehr zu regeln, sind originell und lebensechter, als man es in den meisten Krimis gewohnt ist. Ihre Gradlinigkeit und Offenheit in einer Zeit großer Umbrüche sorgt für eine besondere Atmosphäre, etwa wenn sie in der Royal Albert Hall in die berühmte "Alchemistische Hochzeit" geraten, ein Happening mit Hippiedichtern, Revolutionären und Rockmusikern, mit Hare-Krishna-Jüngern und Hells Angels. Das Zeitkolorit rund um den realen Londoner Kunsthändler Robert Fraser ist noch besser recherchiert als die Szenerie im ersten Band der Trilogie "Abbey Road Murder Song", und meine Vorfreude auf den dritten Band ist groß.
(Lore Kleinert)
William Shaw "Kings of London"
Kriminalroman
Übersetzt von Conny Lösch
Suhrkamp Nova 2015, 472 Seiten, TB 14,99 Euro
eBook, 12,99 Euro