Paul Colize
Back up
All das ist schon so lange her. 1967: Die vier Musiker der Rockband "Pearl Harbour" kommen einer nach dem anderen unter merkwürdigen Umständen ums Leben, nach einer Aufnahme in Berlin, aus der nie eine Schallplatte wurde. Die Polizei sieht keinen Zusammenhang, doch der irische Journalist Michael Stern versucht herauszubekommen, was wirklich geschah.
Brüssel - Paris
Lange her, doch vierzig Jahre später bemühen sich Ärzte und Therapeuten um einen Patienten, der vom Auto umgefahren wurde und offenbar am Locked-In-Syndrom leidet, und der schwarze Bewegungstherapeut Dominique wird zum "ziemlich besten Freund" und baut allmählich Kontakt zu ihm auf. Beide Erzählstränge verknüpfen sich mit den Erinnerungsfetzen des Patienten X-Midi zu einem hochspannenden Trip von Brüssel über Paris nach London und Berlin, zurück an die Anfänge der Rockmusik auf den Spuren von Chuck Berry, den Beatles, den Stones und aller anderen.
Schwindelerregend
Für den in seine Erinnerungen eingeschlossenen Mann aus Brüssel, der seinen Namen häufig wechselte, werden Sex, Drugs& Rock`n`Roll zum Tor zu einer anderen, freieren Welt als die seiner Kindheit in den 50er Jahren. Er wird Schlagzeuger und Teil der Musikszene, in der Drogen und Gewalt schon bald eine tragende Rolle spielen:
"Ich drosch auf mein Schlagzeug ein wie ein Ertrinkender, der in einem Strudel verzweifelt um sich schlägt. Je mehr ich draufhaue, desto mehr fühlte ich, wie eine Mischung aus Verbissenheit und Verzweiflung mich übermannte. Das LSD begann zu wirken. Ich wurde high, und dieser Aufstieg war schwindelerregend."
Politischer Missbrauch
Paul Colize spielt souverän mit Perspektivwechseln, holt die Vergangenheit mit Hilfe der Rockmusik in die Gegenwart, und sein Roman bietet tiefe Einblicke in die Stimmung der jeweiligen Zeit. Wie sehr unsere Geschichte von dieser Musik geprägt, ja geradezu imprägniert ist, wird spürbar, und die Generation zwischen Vietnamkrieg und den jeweils angesagten Mitteln zur Bewusstseinserweiterung wird in der Person des Schlagzeugers in all ihrer Ambivalenz zugespitzt beschrieben. Zugleich konstruiert Colize einen ungemein spannenden Thriller über den politischen Missbrauch, der auch die Musik der Jugendbewegung dieser Jahre nicht aussparte.
"War es möglich, Botschaften oder Töne auf eine Platte zu schmuggeln, die wir nicht hören, unser Gehirn aber entschlüsseln konnte? War es möglich, dass diese Botschaften unser Unbewusstes erreichten und unser Verhalten beeinflussten?"
Akustische Begleitung
Nicht nur das Universum der Rockmusik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann hier mit den Augen eines Beteiligten wieder entdeckt werden. Auch die zwielichtigen Seiten dieser Geschichte werden nicht verschwiegen, denn Paul Colize färbt die Geschichte weder schön noch heroisiert er ihre Protagonisten. Der großen Kraft und Ausstrahlung der Musik tut das keinen Abbruch, und die Spannung steigt in dem Maße, wie der zum Schweigen verurteilte Patient Zugang zu seinen Geheimnissen gewährt. Und der Soundtrack aller erwähnten Titel am Ende von "Back up", von Cream bis Pink Floyd, könnte als akustische Begleitung das Lesevergnügen noch erhöhen!
(Lore Kleinert)
Paul Colize *1953 in Brüssel, preisgekrönter belgischer Krimiautor, lebt in Waterloo
Paul Colize "Back up"
aus dem Franzöischen übersetzt von Cornelia Wend
Edition Nautilus 2015, 352 Seiten, 19,90 Euro
eBook 16,99 Euro