Dror Mishani
Die Möglichkeit eines Verbrechens
Avi Abraham ermittelt
"Mein Ermittler, Avraham Avraham, denkt, dass viele Detektive in Kriminalromanen falsch liegen, und ich stimme ihm zu. Die Geschichte der Krimiliteratur, auch wenn wir das anders sehen, ist voll von Unschuldigen und von Unschuld, und das interessiert mich am meisten."
Ins Koma geprügelt
In Dror Mishanis neuem Fall muss ein Verdächtiger gleich zu Beginn freigelassen werden. Nicht er hatte offenbar den Koffer mit der Bombenattrappe auf dem Gelände eines Kindergartens deponiert. Doch ist er wirklich unschuldig? Die Kindergärtnerin liegt mit diversen Eltern im Streit, denn es gibt Kritik an ihrem Umgang mit den Kindern, und schließlich wird sie ins Koma geprügelt aufgefunden.
Offene Rechnung
Inspektor Avi Abraham stößt auf den Cateringunternehmer Chaim Saba, der seine Kinder allein versorgt und die Kindergärtnerin kritisiert hatte. Trotz großer Hartnäckigkeit lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Schuld Sabas finden, und auch die schwer verletzte Kindergärtnerin entlastet seinen Verdächtigen. Avraham muss sich von seiner Chefin anhören, er habe aus seinem letzten Mordfall noch eine Rechnung offen:
"Du erfindest dir einen weiteren Vermisstenfall und noch einen Vater, der sich an seinen Kindern vergehen will, um wiedergutzumachen, was du in der Vergangenheit vielleicht falsch gemacht hast. Aber Sara ist nicht Ofers Vater, und keines seiner Kinder ist Ofer. Und Ofer kannst Du nicht mehr retten."
Schuld und Unschuld
Die Leser sind Zeugen, wie freundlich und sorgfältig der Vater Saba seinen Söhnen den Verlust ihrer wenig liebevollen Mutter nahebringen will; er plant eine Reise in ihre Heimat, auf den Philippinen, um sie dort damit vertraut zu machen, dass sie fort ist. Aber warum schreibt er den Brief seiner Frau an die Söhne selbst? Und ist sie wirklich zurückgegangen? Das Bild eines Unschuldigen bekommt Risse, und Avi Abraham muss lernen, sich auf seinen Instinkt für Schuld und Unschuld wieder zu verlassen. Dass seine neue Freundin, die aus Brüssel zu ihm nach Israel ziehen will, immer seltener zu erreichen ist, macht es dem empfindlichen und eigenbrötlerischen Mann nicht leichter.
"„Zu viele Details, zu unterschiedliche Anhaltspunkte, die unvereinbar waren, genau wie die Menschen, die hier am Strand saßen. Alles versinkt in Dunkelheit oder Nebel. Aber nach einiger Zeit treten die Verbindungen zutage, wird das Bild immer klarer. In der Finsternis leuchtet plötzlich ein neuer Punkt auf und erhellt auch die anderen."
Gewalt im Alltag
Avraham braucht lange, um die Wahrheit in seinem Fall zu erkennen, und die Logik der Wahrheit seines Kontrahenten, des traurigen Vaters Chaim Saba bleibt ihm dennoch verschlossen. Für die Leser ist es reizvoll, mitzuerleben, wo sich im israelischen Alltag Gewalt ausbreitet, auch ohne Bombenattentate, und wie schmal der Grat ist, auf dem Polizisten wie Avraham sich bewegen, um ihr zu begegnen.
Eine psychologisch sorgfältig und eindringlich aufgebaute Studie zum Thema Schuld, und ein Einblick in die Situation von Kindern, denen es nicht nur in der Familie an Schutz fehlt.
(Lore Kleinert)
Dror Mishani *1975 in Cholon, Israel, Literaturdozent und Übersetzer, lebt in Tel Aviv
Dror Mishani "Die Möglichkeit eines Verbrechens"
Avi Abraham ermittelt
Zsolnay 2015, 336 Seiten, 19.90 Euro
E-Book 15,99 Euro
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