Paul Mendelson
Die Straße ins Dunkel
"Nicht alles in diesem Land muss zwingend mit Rasse zu tun haben." Doch fast alles in diesem Land Südafrika hat eben doch mit den Farben der Haut zu tun und mit Vorurteilen, auch noch 2015, lange nachdem der ANC die Regierung übernahm.
Frei von Bitterkeit
Colonel Vaughn de Vries will den Mord an einer weißen Milliardärin und Kunstmäzenin aufklären, deren Familie wichtiger Stützpfeiler des Apartheidregimes war. Er weiß um die Korruption und Ungerechtigkeit im Polizeiapparat und ist nicht frei von Bitterkeit – ein Einzelgänger, der Gerechtigkeit für die Opfer will.
"Wo alte, erfahrene weiße Polizisten sind, wollen die Verwaltungsbeamten und Politiker, die den Dienst aus der Ferne kontrollieren, junge schwarze Polizeibeamte mit Universitätsabschluss sehen. Als wäre es nicht schon genug, um Gerechtigkeit für seine Opfer zu kämpfen, musste er auch noch vor der ständigen Bedrohung von innen auf der Hut sein."
Doch diese Zustände sind zwar mit altem und neuem Rassismus durchtränkt, die Frontlinien verlaufen aber anders: de Vries hat durchaus Verbündete unter den schwarzen Vorgesetzten und Kollegen. Während er zunächst den schwarzen Liebhaber der Ermordeten verdächtigt, dessen Vater ein einflussreicher Drahtzieher des ANC ist, wird ihm ein toter Junkie als Täter geradezu auf dem Silbertablett serviert. Das macht den gründlichen Polizisten erst recht misstrauisch, zumal einige Spuren auf den Polizeiapparat selbst verweisen.
Tiefe Ängste
Autor Paul Mendelson, Verfasser vieler Sachbücher und Theaterautor, zeigt die Verhältnisse am Kap in einem harten Licht, das nichts beschönigt oder weich zeichnet. Seit vielen Jahren besucht der Brite regelmäßig die Kap-Region, und er weiß um die tiefsitzenden Ängste der weißen Südafrikaner, die mit dem Bewusstsein, Schwarze seien unfähig, das Land zu regieren, aufgewachsen sind – wie sein vielschichtiger Held de Vries:
"Wann immer er schwarze Afrikaner ansieht, überkommt ihn sofort eine Mischung aus ureigenstem Misstrauen und Vorurteilen; er gibt sich Mühe, solchen Gefühlen entgegenzuwirken."
Genau diese Mühe, die selbst einem ehrlichen Polizisten wie ihm schwerfällt, macht aber den Unterschied aus, und Mendelson schildert präzise, wie sich im Umgang mit einer schwarzen Malerin, mit der misstrauischen muslimischen Polizeiärztin oder seinem dunkelhäutigen Kollegen seine Wahrnehmung um Nuancen ändert. Bei den immer komplizierter werdenden Ermittlungen erwirbt er sich Respekt, etwa bei Don February, seinem Warrant Officer:
"Don denkt: Er ist ein zorniger Mann, ungeduldig, intolerant, von Natur aus rassistisch, ohne jeden Respekt für Dienstgrade oder Frauen oder den Herrn. 'Nein', sagt er, 'so übel ist er nicht.' "
Alte Schuld
Gegen Korruption kämpfte de Vries auch schon zu Zeiten der Apartheid, doch als er im Township Zeuge eines Mordes an einer schwarzen Familie wurde, schwieg er, aus Angst um die eigene Familie und aus falsch verstandener Loyalität zum Polizeiapparat. Mendelsohn verknüpft geschickt einen weiteren Handlungsstrang mit der Untersuchung des Mordes an der reichen Frau: Die Polizisten, die vor einundzwanzig Jahren am Massaker an der Familie beteiligt waren, werden erstochen aufgefunden, einer nach dem anderen. Die alte Schuld wirft einen langen Schatten, und de Vries muss an ihren Ursprung zurückkehren:
"Wenn er jedoch diese Verbrechen miteinander in Verbindung setzt, wird er alles wiederbeleben, was an jenem Januarabend vor einundzwanzig Jahren passiert ist: was gesagt und getan wurde, was nicht gesagt wurde."
Schwarz und weiß
De Vries muss fürchten, dass er der nächste sein wird, denn was "nicht gesagt" wurde, kann im heutigen Südafrika noch immer zum Bumerang werden. Dann jedenfalls, wenn jemand das Recht in die eigene Hand nimmt, weil es sonst niemand tat, in einem Land, das einen gewaltigen Umbruch erlebte und von Verwundungen und neuen, unübersichtlichen Machtstrukturen geprägt ist. Mendelsons zweiter Thriller erlaubt einen tiefen Blick in diese alten und neuen Widersprüche, und er baut einen ungemein spannenden Wettlauf gegen die Zeit auf. Schwarz und weiß, sagte Mendelson in einem Interview, sei im Leben und in Südafrika wenig: Gerade die Schattierungen von Grau machen Entscheidungen so schwierig und so faszinierend.
(Lore Kleinert)
Paul Mendelson *1965 in London, Journalist, Kolumnist, Dramatiker, Drehbuchautor, Sachbuch- und Thrillerautor, lebt in London und Südafrika
Paul Mendelson "Die Straße ins Dunkel"
"The Serpentine Road" übersetzt aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Thriller, Rowohlt Taschenbuch Verlag 2016, Paperback, 400 Seiten, 16,99 Euro
eBook 14,99 Euro