Paolo Rumiz
Der Leuchtturm
"Ja, das Leben ist etwas Gutes, an dem man langsam knabbern sollte, im Sonnenlicht und unter den Sternen." Um diese Gewissheit wiederzufinden und Zwiesprache mit dem Meer zu halten, hat sich der italienische Reiseschriftsteller Pablo Rumiz 2015 für einige Wochen auf einen Leuchtturm im Mittelmeer, eines der letzten noch nicht automatisierten Leuchtfeuer, zurückgezogen, ohne Telefon und Internet, zu Gast bei den Leuchtturmwärtern der kleinen Insel, deren Dienst alle paar Wochen wechselt.
Unerwartete Gefühle
Ein Freund, Archäologe aus Dalmatien, hatte ihm prophezeit, er werde sich keineswegs langweilen, denn auch ein Monat werde nicht ausreichen, die winzige, ansonsten nur von einem einäugigen Esel bewohnte Insel völlig zu erkunden:
"Es ist ein mit dem Verstand nicht zu begreifender Ort, jeder Tag ist anders, jeder Wind löst einen Sturm unerwarteter Gefühle aus."
Der Schriftsteller setzt sich diesen Gefühlen gelassen aus und lässt uns als Leser an seinen Beobachtungen und Reflektionen, die er in fein ziselierte und phantasievolle Sätze fasst, teilhaben. Zunächst verbringt er Tage damit, seinen Leuchtturm zu erkunden, der so vieles mehr ist als nur ein Wächter der Seefahrer:
"Fischerhafen und Schutzhütte für Pilger, Einsiedelei und Königspalast, Empfänger von Sternfrequenzen sowie ein wunderbarer Ort für die Seele, wo sie meditieren kann. Unten robust wie eine Festung, oben leicht und luftig. Außerdem ist der Leuchtturm auch eine großartige Sternwarte, ein unwiderstehlicher Magnet für herumirrende Gedanken."
Feines Lichternetz
Für ihn besitzen auch die verlassenen Leuchttürme eine Seele, künden sie doch, nachts, bei Windstille und Sternenlicht, von all jenen, die hier vorbeigezogen sind, von den versunkenen Kaiserreichen, in denen sie erbaut wurden und einem Weltbild, dem protektionistische Eifersucht fremd war, weil es das Meer als Brücke begriff und zum Schutz der Schiffe ein feines Netz von Lichtern an den Küsten weben ließ. Die technische Beschaffenheit der Leuchttürme legt seit 200 Jahren für jeden von ihnen einen eigenen Rhythmus fest, mit Hilfe einer maßgeschneiderten Fresnel-Linse,
"ein millimetergroßes Meisterwerk, das das Blinken des Lichtstrahls, die Dauer des Blinkens und die Dunkelphasen einkalkulieren muss"
- auch darüber gibt der kundige Reisende Auskunft und erklärt, warum die modernen Navigationssysteme auch einen Verlust mit sich bringen.
Todesfalle Meer
Sein Alltag auf der Insel lehrt ihn zu beobachten und wieder in Kontakt mit erinnerten Begegnungen zu treten, mit Menschen, denen das Meer so viel bedeutet wie ihm. Die Farben, der Wind, die Gerüche und Geräusche fügen sich zum Fest der Wahrnehmung zusammen, aus dem heraus Rumiz nicht nur zurückblickt auf die Fundstücke der Geschichte, sondern zugleich über die beklemmende Gegenwart eines verschmutzten, leergefischten Meeres nachdenkt, das für immer mehr Menschen zur Todesfalle wird:
"Mein Meer ist ein Friedhof von Ertrunkenen. Das war es immer, aber mittlerweile ist etwas Neues und Schreckliches hinzugekommen. Kleine Körper, die in der Nacht verschwinden, ohne zu schreien, die den Händen derer entgleiten, die sie lieben."
Fluchtbewegung im Osten
An die Illusion kleiner, nationaler Heimaten, „die sich hinter einer Identität verschanzen", glaubt Rumiz, der in seinen Büchern über das zerfallende Jugoslawien, ein verwahrlostes Italien und die vielen Fluchtbewegungen im Osten Europas und an seinen Rändern berichtete, ohnehin nicht. Zu genau weiß er, dass
"die Welt immer den Migranten gehört hat, jenen, die sich in Bewegung setzen und andere Länder suchen und voll Furcht das Schwarze Meer durchqueren",
und so droht seine kleine Insel nicht in die Idylle abzugleiten. "Meine Insel" schreibt er, "ist ein Raumschiff, das mich in ferne Galaxien bringt", und man folgt ihm gern, denn der Schriftsteller ist ein großartiger Beobachter, der Natur und Landschaft unmittelbar erlebt, seiner Phantasie Flügel verleiht und sie dann wieder zum Leuchtturm zurückkehren lässt, seiner Bastion der Ruhe im flüssigen Herzen Europas.
(Lore Kleinert)
Paolo Rumiz, *1947 in Triest, einer der erfolgreichsten Reiseschriftsteller Italiens mit zahlreichen Preisen für seine Bestseller
Paolo Rumiz "Der Leuchtturm"
aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl Reiseroman, TransferBibliothek im Folio Verlag Bozen/Wien 2017, 160 Seiten, 20 Euro,
eBook 14,99 Euro
Lesung 19. April 2017
Paolo Rumiz: "Der Leuchtturm"
Berlin, Italienisches Kulturinstitut