Claudio Magris
Ein Nilpferd in Lund - Reisebilder
Der vielfach preisgekrönte Germanist, Schriftsteller und Publizist hat sich intensiv mit einem Europa auseinander gesetzt, das - Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2009 - "seine geschichtliche und kulturelle Tradition und Vielfalt bedenkt und darauf beharrt." Magris, der in Triest lebt und arbeitet, versteht sich als Vermittler zwischen verschiedenen Kulturen.
Heitere Poesie des Lebens
Das Nilpferd aus Stoff, das der Autor in einem unscheinbaren Raum im Museum für Kulturgeschichte in Lund entdeckt, ist alles andere als schön. Es sieht nach durchlebter Kindheit schäbig und abgenutzt aus. Aber es gehört zu den kleinen Begegnungen, die den reisenden Schriftsteller und Literaturprofessor Claudio Magris aus Triest inspirieren und ihn diesmal in die Zeit einer heiteren Poesie des Lebens zurückführen:
(Das Nilpferd) "ist groß wie eine Bulldogge, völlig ramponiert und zerrissen, die Glasaugen fehlen ... (es) ist breit und plump, es hat krumme Beine, einen dicken Hintern und sieht aus wie jemand, der unsicher durch die Gegend watschelt und nur hofft, dass er in Ruhe gelassen wird. ... Gern würde ich die Geschichte des Nilpferds hören, erfahren, in welchen Zimmern es herumgeworfen und gehätschelt wurde ..."
Augen-Blicke der Entzauberung
In seinem außergewöhnlich umfangreichen Vorwort erklärt uns Magris seine Philosophie vom Reisen als eine Philosophie des Lebens im Schreiben, als Utopie und Entzauberung. Er führt uns in kleine, manchmal ab-wegige Orte in Spanien, Tschechien, Polen, Schweden, Norwegen oder Vietnam, um als Grenzgänger ihren Zauber zu entdecken und Eindrücke des Augenblicks zu literarischen, philosophischen und politischen Reflexionen zu verdichten.
"Vieles bricht zusammen, wenn man reist: Gewissheiten, Werte Gefühle, Erwartungen, die unterwegs verloren gehen ... man findet anderes dafür, andere Werte und andere Gefühle, begegnet ihnen unterwegs und liest sie auf. Ebenso wie Reisen heißt auch Schreiben zerlegen, neu ordnen, neu zusammensetzen; man reist durch die Wirklichkeit wie durch ein Theater ... "
Inseln der Weltliteratur
Magris ist ein neugieriger Reisender, klug und belesen spaziert er mit offenen Augen und einem immensen Detailwissen durch die Welt, entdeckt Vergängliches und Vergangenes, folgt den Spuren kleinster Minderheiten in Europa, erzählt von ihrer Kultur und Sprache und vom zähen Kampf um Existenzberechtigung.
Er besucht Inseln der Weltliteratur in Ibsens Norwegen oder Vaclav Havels Prag. In Breslau begegnet er Eichendorff und Gryphius, im Iran alter persischer Dichtkunst im "Buch der Könige". Wie ein Archäologe geht er auf die Suche, sammelt Eindrücke und befreit sie vorsichtig von moralischen Überhöhungen, um das Reisen selbst zum Thema zu machen.
Reisen zu den Menschen
Die im diesem Buch versammelten Reisen unternahm Magris von 1981 bis 2004, er folgte Don Quijote durch Spanien, entdeckte auf den Scilly Islands im Atlantischen Ozean einen von Benediktinermönchen angelegten Garten Eden und im unendlichen Meer die Glückseligkeit schlechthin. In Mexiko begegnet er einen tanzenden Rabbi auf einer jüdisch-orthodoxen Hochzeit und beobachtet in Barcelona einen Vater, der seinem behinderten Sohn Meisterwerke der Malerei erklärt.
Magris füttert den Leser Seite um Seite mit Wissen, jeder Ort löst eine intellektuelle Suche aus. Das ist glänzend formuliert, manchmal poetisch, oft ironisch, immer klug und anregend:
"Reisen schult das Fremdsein, lehrt, sich im Leben stets fremd zu fühlen, selbst zu Hause. Doch fremd unter Fremden zu sein, ist vielleicht der einzige Weg, um wirklich miteinander verbrüdert zu sein. Daher hat das Reisen die Menschen zum Ziel.
(Christiane Schwalbe)
Claudio Magris "Ein Nilpferd in Lund - Reisebilder"
Hanser Verlag 2oo9, 224 Seiten, 2. Auflage, 17,90 Euro