Emma Cline
The Girls
"Dass ich aufsah, lag an dem Gelächter, dass ich weiter hinsah, an den Mädchen" – zu lachen hat die vierzehnjährige Evie Boyd wenig, denn das Leben mit ihrer Mutter im kalifornischen Vorort in diesem Sommer 1969 findet sie öde, und die Aussicht, im Herbst auf ein Internat zu gehen, ist kaum das Ziel ihrer Wünsche.
Erregende Welt
Die herumschweifenden Mädchen aber, "geschmeidig und gedankenlos wie durch das Wasser gleitende Haie", ziehen sie magisch an. In ihnen und vor allem der 19jährigen Suzanne schießen all ihre pubertären Wünsche, endlich wahrgenommen zu werden, zusammen und füllen das emotionale Vakuum, zwischen den unerreichbar scheinenden Männern und den geschiedenen Eltern, die sie verachtet.
Emma Cline, die diesen Roman mit 25 Jahren schrieb, erfasst die Qualen dieser Zwischenzeit vor dem Erwachsensein mit größter Präzision: Die unklare und schmerzliche Gefühlswelt eines Mädchens, das sich in der Hippiekommune nach dem Muster der Manson Family in eine andere, erregende Welt fantasiert.
"Meine Wachheit hielt alles fest wie in Bernstein gegossen. Das Radio, das Hin- und Herrücken von Körpern, Susannes Gesicht im Profil. Das war es, was sie immerzu hatten, stellte ich mir vor, dieses Netz von gegenseitigem Beistand, wie etwas, das zu nah ist, als das man es erkennen kann. Bloß das Gefühl, von der brüderlichen Strömung der Zugehörigkeit mitgetragen zu werden."
Eintöniges Leben
Der Manson dieser Gruppe heißt Russell Hadrick, und Emma Cline erzählt die Geschichte, wie das junge Mädchen immer tiefer in die Gruppe gezogen wird, aus der Perspektive der viel älteren Evie, einer Frau, die das eintönige Leben eines "Flüchtlings ohne Verbrechen" führt, der "halb hoffte und sich halb davor fürchtete, dass niemand ihn irgendwann holen kann". In ihrer Erinnerung wirkt jedes Detail genauestens zwischen Bericht und Traum ausbalanciert und erschafft eine vergangene Welt, die einen mächtigen Sog erzeugte, weil die 14jährige Evie, Enkelin eines Filmstars, an ihrer Mittelmäßigkeit litt und alle Erwachsenen um sie herum versagten. Wie sie immer tiefer in die Welt der Sekte abgleitet, missbraucht wird und sich die dunkle Seite des "Summers of love" schön kifft, ist eindrucksvoll und sehr nachvollziehbar geschildert.
"Nach und nach leuchtete mir alles ein, was Russell sagte, so wie einem Dinge allmählich plausibel werden konnten. Wie Drogen schlichte, banale Sätze zu Wortverbindungen zusammenfügten, die voller Bedeutung zu sein schienen. Mein immer wieder einsetzender Teenagerverstand gierte nach Kausalitäten, nach Verknüpfungen, die jedes Wort, jede Geste mit Sinn aufluden. Ich wollte, dass Russell ein Genie war."
Beklemmend nahe
Emma Cline beschreibt die Anziehungskraft des Sektenführers, tatsächlich nur ein mittelmäßiger Musiker, auf junge Frauen, denen das Selbstbewusstsein und die Kraft fehlt, an den neuen Freiheiten der späten 60er Jahre zu wachsen. Der Versuch, diese Geschichte mit aktuellen Entwicklungen weiblicher Unterwerfung zu verbinden, wenn Evie als Erwachsene mit der unangenehmen Beziehung eines jungen Paares konfrontiert wird, bleibt jedoch blass, und ihr sehr visueller, mitunter überladener Stil reicht nicht aus, um aus der Rückschau auf die Katastrophe, der die 14jährige Evie nur sehr knapp und fast gegen ihren Willen entging, tiefere Einsichten über die Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs zu gewinnen.
Dennoch lohnt sich die Lektüre dieses Debütromans, denn wie ein einsames und vernachlässigtes Mädchen in einen Abgrund von Irrationalität und Gewalttätigkeit abdriftet, hat die Autorin mit großem Einfühlungsvermögen nachempfunden; die Schattenseite des großen Aufbruchs, die bis heute die grandios verklärten Erinnerungen der Beteiligten eher stört, rückt hier auf beklemmende Weise nahe.
(Lore Kleinert)
Emma Cline *1989 in Kalifornien, amerikanische Journalistin, lebt in New York
Emma Cline "The Girls"
Übersetzung Nikolaus Stingl
Roman, Hanser 2016, 352 Seiten, 22 Euro
eBook 16,99 Euro, Audiobook 22 Euro