Andreas Schäfer
Das Gartenzimmer
"Solche Häuser sind ein Fluch. Man wird ihnen nie gerecht. Sie sind immer stärker als ihre Bewohner."
Geister der Geschichte
Der Kunstkritiker Julius Sander liebt das schöne Haus am Rande des Berliner Grunewalds, ist aber nur ein Zaungast mit guter Beobachtungsgabe. Aus einem bestimmten Blickwinkel scheint die Villa Rosen, ein "Kleinod der Vormoderne", zu schweben, und das Ehepaar Lekebusch richtet es Mitte der Neunziger Jahre im alten Glanz und mit viel Aufwand und Geld her. Vor allem Hannah Lekebusch versucht, den Geist des Hauses wieder zu erwecken, mit Führungen über seinen Architekten Max Tauber und gediegenen Festen - doch manche Geister der Geschichte erweisen sich als düstere Schatten. Und das Haus selbst hat eine eigentümliche Wirkung auf seine Bewohner, mal eher beängstigend, mal ungemein anziehend, wie etwa auf Hannah:
"Doch das Haus ließ sich – anders als die Wohnung – nicht in den Hintergrund ihres Lebens zurückschieben, im Gegenteil: Mit beängstigender Macht drängte es sich in sein Zentrum und gab ihr immer stärker das Gefühl, überflüssig zu sein. Die Proportionen und Winkel, das stimmige Zusammenspiel der Räume, all das war so kunstvoll aufeinander abgestimmt und in sich geschlossen wie eine Skulptur, eine Raumskulptur, die niemanden nötig hatte und die jedes falsch gestellte Möbel als Affront erlebte."
Perfekte Proportionen
Andreas Schäfer spannt einen großen Bogen von der Entstehung des ersten Hauses, das der später weltberühmte Architekt 1908 für das Ehepaar Rosen entwarf und baute, bis zu seinem letzten Besitzerwechsel 2013. Sein Roman erzählt von der Begeisterung des jungen Architekten, seiner Ernüchterung in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg, als er lieber modern und sozial bauen wollte, seinem Verrat an der Villa und der Witwe Elsa Rosen, deren jüdischer Mann schon am Ende des langen Sommers 1928 starb, als die Zeit der Empfänge und Feste, mit "Rathenau, Liebermann, den Cassirers" vorbei war. Man glaubt sich in das Haus versetzt, so genau und elegant lässt Schäfer seine perfekten Proportionen vor dem inneren Auge erstehen, und mit ihnen den berückenden Sog, den menschliche Werke von großer Schönheit entfalten können:
"Die Kojen in Salon und Bibliothek bilden das Heck, hinter uns haben Sie gerade die Seitenwand meines Schiffes ertastet, dessen Bug weit über die Loggia hinaus in die Luft ragt. Die Loggia als Kommandobrücke und das runde Fenster oben der Ausguck im Mast. Wir segeln, Herr Wagner! Wir balancieren auf dem Kamm der Welle. Sie sehen in diesem Haus meine Zukunft verewigt!"
Neue Konstellationen
Doch der Krieg zerstört jede Verbindung zwischen Max Tauber und dem, was er geschaffen hat, und als er bei den neuen Machthabern nach 1933 um Aufträge buhlt, beginnt ein Kapitel des Hauses, in dem seine Schönheit kontaminiert wird. Aus mehreren Blickwinkeln erleben die Bewohner das Fest an einem Tag im Mai 2001, das zu Trennungen, Liebesgeschichten und manch unerwarteten Begegnungen führt; wie in einer fortschreitenden Choreografie ergeben sich neue Konstellationen, nicht voraussehbar, spannungsreich und oft in tiefe Melancholie getaucht oder in Albträumen endend.
"Man gerät in einen Sturm. Man wird von Gedanken angefallen und gequält, die man niemals für möglich gehalten hätte. Aber eines kann ich dir versichern: Man sucht die Schuld nicht bei anderen, nicht bei einem Haus oder furchtbaren Ereignissen in der Vergangenheit – man sucht sie bei sich selbst."
Andreas Schäfer verfolgt, wie die einen das Haus zum Hort der Schönheit, die anderen es zum Hort des Bösen stilisieren und doch letztlich bei sich selbst ankommen, lädiert, verstört oder auch befreit. Die Villa Rosen ist in seinem klugen Roman vielschichtige Projektionsfläche und geliebte Heimat, Spiegel gesellschaftlichen Aufstiegs und moralischer Verkommenheit – und es gibt sie nur hier, in der Literatur, aus wohlgesetzten Worten gebaut!
(Lore Kleinert)
Andreas Schäfer, *1969 in Hamburg, Journalist und Schriftsteller, lebt in Berlin
Andreas Schäfer "Das Gartenzimmer"
Roman, Dumont Verlag 2020, 352 Seiten, 22,00 Euro
eBook 16,99 Euro