Antonia Baum
Tony Soprano stirbt nicht
Lesung und Gespräch am 17. Mai im Deutschen Theater in Berlin um 20 Uhr.
Eine fiktive Geschichte: Drei Kinder bangen um ihren Vater, der bei einem Motorradunfall schwer verunglückt ist und nun an Schläuchen und Apparaten hängend im Krankenbett liegt. Aber seine Kinder sind stark, so haben sie es von ihm gelernt, "wer krank ist, wird gesund, ob es ihm nun passt oder nicht."
Ein Held stirbt nicht
Eine Mutter gibt es nicht, die Kinder wachsen eher regellos auf, sind häufig allein. Der Vater ist viel unterwegs und liebt schnelle Autos, auch den Kitzel der Gefahr. Dennoch: Dieser Vater ist ihr Held, und ein Held stirbt nicht, sondern schafft Unmögliches, auch wenn er noch so leichtsinnig durchs Leben geht. Wie Tony Soprano, der Serienstar und Gangsterboß, der angeschossen wurde und überlebt hat.
Gegen den Tod
Aus Antonia Baums Fiktion wird schockierende Realität: Kurz vor Erscheinen des Buches verunglückt ihr eigener Vater. Und die Autorin beginnt, gegen den Tod anzuschreiben.
"Bereits am Morgen nach dem ersten Besuch bei meinem Vater öffnete ich meinen Rechner und begann zu schreiben. Ohne Absicht, und natürlich fragte ich mich mit einem schlechten Gefühl, ob ich das hatte, eine Absicht. … Ob ich schrieb, um den Roman, der in wenigen Wochen veröffentlicht werden würde, etwas entgegenzusetzen … Ob ich schrieb, weil ich es gewohnt war, beim Schreiben die Kontrolle über das zu haben, was passiert."
Angst vor dem Tod
Sie versucht ihren Schock in Worte zu fassen und beschreibt doch vor allem das Leid, das sie beim Anblick ihres Vaters empfindet, und dem sie in Gedanken streng zuruft: "Jetzt reiß dich doch mal zusammen, ... du bist ja zu nichts zu gebrauchen. Wir haben doch nicht ewig Zeit." Die Angst schwingt ständig mit, die Angst vor dem Tod, der nicht benannt wird, niemals. Und weil man nicht genau weiß, was jemand im Zustand des Vaters wirklich mitbekommt von dem, was um ihn herum geschieht, liest sie ihm schließlich aus ihrem Buch vor, in dem es um drei Kinder geht, deren Vater eine schweren Unfall hatte: "Ich musste zu meiner Schuld stehen. Ich hoffte, dass mein Vater nichts mitbekam …" Sein Blutdruck steigt, während sie liest – aber als Leser weiß man plötzlich nicht mehr so genau, welcher Vater denn nun gemeint ist – der im Roman oder der echte.
Fiktion und Wirklichkeit
Antonia Baums Roman ist ein faszinierendes Spiel mit der eigenen Befindlichkeit, sie pendelt zwischen Fiktion, Wirklichkeit und (beruhigender) Phantasie. Sie denkt sich drei "Möglichkeiten gegen die Ungewissheit" aus, beschreibt einen verwahrlosten Vater, einen Wachkomapatienten, schließlich sich selbst als doppeltes Lottchen und spürt dabei den Fragen nach: Was wäre, wenn; was könnte passieren und wie würde ich damit leben? Es sind
"Geschichten, die das Leben meines Vaters zu einem Punkt führten, der diesem Leben Sinn verlieh, oder wenigstens ein Ziel, für mich."
Innere Zerrissenheit
Ein außergewöhnliches Buch mit einer überaus klaren und eindringlichen Sprache, die die innere Zerrissenheit der Autorin spiegelt - zwischen Empathie, Hilflosigkeit und den Schuldgefühlen, sie könne das väterliche Schicksal herbei geschrieben haben:
"Ich weiß nicht, was ich ohne diese Geschichten gemacht hätte. Und ich weiß auch nicht, was ich ohne das Schreiben gemacht hätte."
(Christiane Schwalbe)
Antonia Baum *1984 in Borken/NRW, Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Redakteurin der FAS in Berlin
Antonia Baum "Tony Soprano stirbt nicht"
Hoffmann und Campe 2016, 144 Seiten, 18 Euro
eBook 13,99 Euro