Cora Stephan
Ab heute heiße ich Margo
Als sie sich Margo nennt, träumt Margarete davon, sich ein selbstständiges Leben zu erobern und der Enge ihrer Familie und der Kleinstadt Stendal zu entkommen. Die junge Frau lernt Buchhaltung bei Photo-Werner und freundet sich mit der Fotografin Helene an.
Große Zeiten
Während Helene über ihre jüdische Herkunft und das, was sie im spanischen Bürgerkrieg erlebte, schweigen muss, blendet Margo die politischen Verhältnisse aus, wie so viele, die in diesen Jahren jung waren.
"Ich tue meine Pflicht. Ich weine nicht. Das habe ich mir geschworen. Denn wir leben in großen Zeiten. Die Polen sind besiegt, Danzig ist wieder eine freie Stadt, die deutsche Ehre ist wiederhergestellt. Dagegen verblasst das bisschen Herzeleid."
Der Krieg beendet alle Pläne und Hoffnungen der beiden Frauen. Margo heiratet; den schlesischen Adligen und Nazigegner Alard, in den sie sich vorher - das "bisschen Herzeleid" - verliebt hatte, trifft sie auf der Flucht vor den Bombenangriffen wieder. Die eine, einzige Nacht, die sie mit ihm verbringt, sorgt dafür, dass sie lebenslang mit Helene verstrickt bleibt, denn auch die Fotografin hat eine besondere Beziehung zu diesem Mann.
Aus der Bahn geworfen
Cora Stephan beschreibt sehr präzise und detailgenau, wie der Krieg Schicksale durcheinander würfelt und die Menschen aus der Bahn wirft. Was das in ihrer Psyche anrichtet und wie sich die beiden Frauen, jede auf ihre Weise hart geworden, in den neuen politischen Formationen nach dem Krieg einrichten, ist in Buch 2, das die Jahre von 1945 bis 1989 umfasst, meisterhaft und bis in die feinsten Verästelungen ihres Lebens nachvollzogen. Margo macht Karriere, betrügt ihren aus dem Krieg zurückgekehrten Mann Henri und lässt ihn doch nicht allein. Der Beruf, die Firma wird zum Fixstern ihres Lebens, und ihre Nachkriegstochter leidet darunter. Wichtig ist, dafür zu sorgen, dass man wenig zu bereuen hat. Für mich gilt das nicht. Ich habe einiges zu bereuen, vieles, was ich getan, und manches, was ich unterlassen habe.
Persönliches Versagen
Die Politik blendet sie noch immer aus, so wie die ganze Generation derer, die den Westen wiederaufbauten und über diese Aufgabe alte Schuld und persönliches Versagen vergaßen und verdrängten. Doch in Helene, inzwischen in der DDR zur 'Kundschafterin des Friedens' aufgestiegen, findet sie ihren Schatten, der sie verfolgt. Die zutiefst verletzte Frau, die im KZ nur überlebte, weil sie ins Bordell gezwungen wurde, hat einen resignierten, realistischen Blick auf ihr Leben, doch auch sie stellt sich in den Dienst eines verbrecherischen Systems, dessen Antifaschismus nur als Fassade dient. Das Verhältnis zum Kind, das sie als Tochter großzieht, ist ebenso vergiftet wie das der Feind-Freundin im Westen, die sich leichtfertig den Hass ihrer eigenen Tochter zuzieht.
Falsche Richtung
Mit großem Feingefühl für die Verwerfungen der Geschichte lotet Cora Stephan aus, was Erfolg für beide bedeutet, nämlich Schutz vor der Erkenntnis, dass das Leben in die falsche Richtung laufen kann – ohne Hoffnung auf Korrektur. Sie konnte dabei auf Briefe, Tagebücher und Erzählungen aus ihrer eigenen Familie zurückgreifen und kann als Historikerin ihre Romanhandlung mit fundiertem Hintergrundwissen und lebendigen Alltagsbeobachtungen anreichern. Die Autorin ist gnädig mit ihren Figuren, auch denen, die sich um die beiden Protagonistinnen ranken, denn sie verleiht ihnen hohe Glaubwürdigkeit, auch wenn sie den beiden Frauen manchmal zu viel an Schicksal aufbürdet. Doch ihre reiche Sprache zieht in den Bann dieser unentrinnbar verknüpften Leben, deren widersprüchliche Wege man mit großer Spannung verfolgt.
Mit neuem Blick
Als schließlich die Mauer fällt, ist auch die Zeit für einen neuen Blick auf die deutschen Verhältnisse, jenseits von Kaltem Krieg und Selbstbetrug, gekommen, etwa wenn Helene am Rande des zerstörten Potsdamer Platzes steht:
"Die Vorstellung verfolgte sie, dass die Geschichte, die hier begraben lag, herausbrechen und alles mitreißen könnte in ihren dunklen Schlund. Nicht so sehr der pulsierende Westen, ganz Farbe und Licht, wühlte sie auf und ließ sie an allem zweifeln, vor allem an ihrem eigenen Leben, sondern dieser zerstörte und planierte und vernarbte Boden inmitten der Stadt. So sah das aus, was sie aus ihrem Leben gemacht hatte: eine sterile Brache."
Doch eine so versierte und kluge Autorin weiß, dass auch in der größten Zerstörung Hoffnung bleibt und die Fähigkeit zu überleben eine mächtige Kraft ist. Auch dies treibt Margo und Helene an und verleiht ihnen, bei allen Irrtümern, Zielstrebigkeit und Würde, und sogar Charme.
(Lore Kleinert)
Cora Stephan *1951 bei Osnabrück, Historikerin, Journalistin und Autorin, lebt in Hessen
Cora Stephan "Ab heute heiße ich Margo"
Roman, Kiepenheuer & Witsch 2016, 640 Seiten, 21,99 Euro
eBook 18,99 Euro