David Safier
28 Tage lang
Mira ist sechzehn, eine Jüdin, die gezwungen ist, mit ihrer Familie im Warschauer Ghetto zu leben. Der Vater hat sich vor Gram und Scham aus dem Fenster gestürzt, gedemütigt und gebrochen. Die Mutter dämmert seitdem vor sich hin, Mira muss die Verantwortung übernehmen, sie alle durchbringen. Irgendwie.
Tägliche Judenjagd
Die Drei leben in einem winzigen Zimmer, auf engstem Raum wie alle im Ghetto. Mira schmuggelt Lebensmittel, darin ist sie geschickt, und um nicht aufzufallen, zieht sie stets ihr schönstes Kleid an. Denn außerhalb des Ghettos warten die "Hyänen", die Nazis, die auf Judenjagd gehen. Drinnen ist sie halbwegs sicher - noch:
"Hier, auf diesen überfüllten, stinkenden und lauten Straßen wurde ich nicht von Hyänen gejagt. Hier war ich unter meinesgleichen. Darunter verstand ich die vielen, vielen Menschen, die versuchten, ihre Würde in dieser Hölle zu bewahren. Sie trugen gepflegte Kleidung, waren gewaschen und gingen ohne gesenkten Blick durch die Straßen. Gewillt, den Alltag zu meistern, ohne anderen zu schaden. Ohne zum Tier zu werden."
Deportation in die Vernichtungslager
Aber das Leben wird von Tag zu Tag schwerer, immer mehr Juden werden ins Ghetto gepfercht, die Repressionen nehmen zu und mit ihnen Hunger, Angst und Verzweiflung, die Menschen werden erschossen und erschlagen oder zusammengetrieben und abtransportiert.
Mira wird erwischt und von einem Studenten in einer todesmutigen Aktion gerettet. Damit beginnt das Buch, und diesem Mann wird sie viel später, als Mutter und Schwester tot sind, in den Widerstand folgen, um den Aufstand im Warschauer Ghetto zu organisieren, sich volle 28 Tage lang unter Einsatz ihres Lebens gegen die Nazis zu wehren. Ein ungleicher Kampf, ohne Chance.
Angst und Schuldgefühle
Was für ein Mensch will ich sein – das fragt sich Mira immer wieder, um zum Schluss zu sagen: Ein Mensch der lebt! David Safier führt uns deshalb auch vor, wie sehr sie von Schuldgefühlen und moralischen Skrupeln geplagt wird, wenn sie selbst der Deportation noch einmal entgangen ist und weiter ums eigene und das Überleben von Mutter und Schwester kämpft:
"Es sah in den Zimmern aus wie nach einem Wirbelsturm … auch in der Küche sah man, dass der Aufbruch plötzlich gekommen war. Auf dem Teller lag ein Stück angebissenes Brot. Mein Magen grummelte. Wann hatte ich das letzte Mal gegessen? … Ich hatte noch nie etwas gestohlen, doch war es stehlen, wenn man etwas nahm, das jemand liegen gelassen hatte, der nie wieder zurückkam?"
Helfershelfer und Verräter
Der Autor verknüpft Fakten und Fiktion, komprimiert die gut dokumentierten historischen Einzelheiten, erzählt Miras dramatische Geschichte atemberaubend und packend, lässt den Leser realistisch und quälend genau miterleben, wie es zuging im Ghetto: Wie schnell einer des anderen Feind oder gar zum Verräter wurde, um zu überleben, welche Skrupellosigkeit die eigenen Leute in der jüdischen Polizei entwickelten, die als Helfershelfer der Besatzer eingesetzt waren (zu ihnen gehörte auch Simon, Miras Bruder), mit welcher Unmenschlichkeit Menschen seelisch vernichtet oder ermordet wurden, nur weil sie es wagten, ihren Peinigern ins Gesicht zu schauen.
Bei Youtube erzählt David Safier über die Motive, diesen Roman zu schreiben, und wie sehr der Holocaust die nachfolgenden Generationen beeinflusst. Seine Großeltern wurden im Konzentrationslager ermordet, sein Vater entkam den Nazis. In der Familie war das Thema tabu, die Traumatisierung aber wirkt weiter. "Das Buch wollte geschrieben werden" sagt er. Zum Glück.
(Christiane Schwalbe)
David Safier *1966, Autor und Drehbuchautor, lebt in Bremen
David Safier "28 Tage lang"
rowohlt rotfuchs 2014, 3. Aufl. März 2015, 416 Seiten, 16,95 Euro, TB 9,99 Euro
eBook 14,99 Euro