Ernst Haffner
Blutsbrüder
Ein Berliner Cliquenroman
Er kriecht einem förmlich in die Nase – dieser Geruch nach Schmutz und feuchten Kleidern, nach Schnaps und abgestandenem Bier, nach Kneipendunst und kaltem Rauch. Er lässt sich nur durch Waschen, neue Klamotten und und ein warmes Zuhause vertreiben. Aber das haben die Blutsbrüder nicht.
Obdachlos zu Tausenden
"Anfang der 1930er Jahre lebten in Berlin und in anderen deutschen Großstädten Tausende obdachloser Jugendlicher auf der Straße" – steht im Vorwort zu diesem eindrucksvollen Roman, den Verleger Peter Graf wiederentdeckt hat: "Manche waren Opfer der prekären wirtschaftlichen Verhältnisse. Anderen hatte der Erste Weltkrieg die Familie zerstört und zerrüttet. Viele von ihnen waren aus Fürsorgeeinrichtungen geflohen."
Trostloses Leben
Im Moloch Großstadt tauchen sie alle unter, verdingen sich als Tagelöhner oder ziehen von Wärmehalle zu Wärmehalle. Ein Leben voller Hoffnungslosigkeit, das nur erträglich wird im sozialen Schutz von Banden und Cliquen. Sie "boten nicht nur Schutz, sondern waren auch Ausdruck einer proletarischen Jugendsubkultur, die heute wenig bekannt ist."
Realistisches Milieu
Kaum bekannt ist auch dieser berührende Roman, der 1932 unter dem Titel "Jugend auf der Landstraße Berlin" im Verlag Bruno Cassirer veröffentlicht, von den Nazis verbrannt und schließlich vergessen wurde. Ernst Haffner gelingt darin eine packende Beschreibung der damaligen Verhältnisse am Beispiel der Blutsbrüder-Clique. Die Beschreibung des Milieus vor allem rund um den grauen Berliner Alexanderplatz mit all' seinen dunklen Ecken und Kellern und Hinterhöfen geht unter die Haut und erinnert an ein Berlin, in dem es ums pure Überleben ging.
West und Ost
Vor allem im Osten regieren Armut und Elend, im Westen leben die Reichen. So ist das Anfang der 1930iger Jahre und so erfahren es hautnah auch zwei Blutsbrüder, die sich in den Westen verirren, wo die "Läden Palästen gleichen" und "Jungens wie sie … auf den Strich gehen. Manche sind ganz neu angezogen … und riechen tun die Jungs … nach Pomade und Parfüm. Die verdienen vielleicht ein Geld ..."
Der Schein trügt
Mit gewinnbringenden Taschendiebstählen scheinen bessere Zeiten anzubrechen – aber der Schein trügt. Die Jungs entkommen weder der Polizei noch der Fürsorge, die ihnen auf der Spur sind und selbst dann noch gnadenlos zuschlagen, als zwei von ihnen mit ehrlicher Arbeit und bescheidenem Verdienst ein neues Leben beginnen und hoffen, es geschafft zu haben.
Haffner beschreibt ungemein authentisch die beklemmende Trostlosigkeit und das soziale Elend dieser Cliquen; aber er zeigt auch, wie unbeirrt und kämpferisch die Jungs versuchen, sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben herauszukämpfen aus dem Sumpf ihrer Existenz.
(Christiane Schwalbe)
Ernst Haffner "Blutsbrüder"
Ein Berliner Cliquenroman
Metrolit Berlin 2013, 260 Seiten, 19,99 Euro
eBook 16,99 Euro, Audiobook 19,95 Euro, Hörbuch Download 14,85 Euro