Jo Lendle
Was wir Liebe nennen
Damit wir uns gar nicht erst irgendwelchen gefühlsbetonten Illusionen hingeben: "Wir verlieben uns in das, was uns ähnelt", verursacht durch ein kleines Organ im Gehirn, den Hippocampus. Liebe ist – biologisch gesehen - reine Nervensache und Gefühle sind "rudimentäre biochemische Prozesse, eine Art eingespieltes Chaos".
Liebe ist Zauberei
Vielleicht ist Liebe aber auch Zauberei, so ist zu ahnen, denn Lambert, der Held in Jo Lendles Roman "Was wir Liebe nennen" ist Zauberer. Kein besonders toller, aber er versteht sein trickreiches Handwerk gut genug, um damit Menschen zu verblüffen und seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Universum vor dem Urknall
Wir treffen ihn in Osnabrück, keiner sehr aufregenden Stadt, aber "morgens um drei durch Osnabrück zu laufen war wie ein Spaziergang durchs Universum kurz vor dem Urknall" – vielversprechend also. Lambert ist auf dem Weg zum Flughafen, um nach Kanada zu fliegen, zu einer Zaubervorstellung. Er wird deutlich verspätet ankommen, denn das Flugzeug muss notlanden.
Magische Anziehung
Irgendwann doch angekommen, wird er von einem Pickup fast überfahren, am Steuer sitzt Felicitas: "Lambert konnte sich nicht erinnern, schon einmal von solchen Augen angesehen worden zu sein." Die Frau, die sich bezeichnenderweise Fe nennt und – erneut symbolträchtig – Wildpferde züchtet und sie in die Freiheit entläßt, verzaubert Lambert. Die magische Anziehung kollidiert mit Vernunft und Gewissen: In Osnabrück wartet ein geordnetes Leben mit Andrea.
Zwei Seelen …
Aus den zwei Seelen in Lamberts Brust werden nach der ersten Liebesnacht zwei Lamberts, die sich irgendwann in den Wäldern Kanadas gegenüber stehen und um Fe ringen – eine abenteuerliche Wendung der Geschichte, die zunehmend absurder und wird. Lambert gegen Lambert – Jekyll gegen Hyde, aber wer ist wer? Wer ist besser, wer mutiger? Wer siegt über den anderen? Chaos - innen und außen. Fe bliebt bei alledem erstaunlich cool.
Jo Lendle hat eine fantastische, märchenhafte und überaus schräge Liebesgeschichte aus dem Hut gezaubert - skurril, poetisch und kraftvoll erzählt. Ein ver-rücktes und spannendes Lesevergnügen.
(Christiane Schwalbe)
Jo Lendle, *1968 in Osnabrück, Schriftsteller, ab 2013 Verleger des Hanser Verlags
Jo Lendle "Was wir Liebe nennen"
DVA 2013, 256 Seiten 19.99 Euro
eBook 15,99 Euro
Weitere Buchtipps zu Jo Lendle
"Eine Art Familie"
"Alles Land"