David Wagner, Jochen Schmidt
Drüben und drüben
Zwei deutsche Kindheiten
25 Jahre nah dem Fall der Mauer häufen sich die Erinnerungen. Nicht nur die politischen, auch die persönlichen, ganz subjektiven Rückblicke, die "ostalgischen" und die nostalgischen, die biografischen und die sozialen.
Lebendige Erinnerungen
Wie war das damals eigentlich in der DDR? War wirklich alles so trostlos und öde? Und wie fühlte man sich in der Bundesrepublik, im Land, wo es Bananen gab und Apfelsinen und auch sonst alles in Hülle und Fülle? Mit Jochen Schmidt und David Wagner kehren wir zurück, folgen den beiden Autoren in die Welt ihrer Kindheit – hüben und drüben. Der eine lebte in Ost-Berlin, der andere in Andernach am Rhein.
Kindliches Erleben
Sie erzählen ganz einfach, wie es war, tun es witzig und besinnlich, kritisch und augenzwinkernd, gelassen und erstaunlich detailgenau; "sortiert" sind ihre Geschichten nach thematischen Vorgaben: u.a. Kinderzimmer, Wohnzimmer, Küche, Badezimmer, Garten, Spielplätze, Schule, Ferien. Damit werden wichtige Stationen kindlichen Erlebens markiert, die den direkten Vergleich vom Alltag in beiden deutschen Staaten ermöglichen.
Alles kaputt
Das liest sich höchst vergnüglich, Nachdenklichkeit inklusive. An die Notwendigkeit der Improvisation erinnert sich gewiss nicht nur Jochen Schmidt:
"Bei uns war immer etwas kaputt, und wir waren an die provisorischen Reparaturlösungen meines Vaters gewöhnt. Beim Wartburg war die Lenkradschaltung abgebrochen und durch eine Kugelschreiberhülse ersetzt worden. … Die Playtaste des flachen Kassettenrekorders rastete nicht mehr ein, man musste sie mit einem Radiergummi unten halten, über den ein Einweckring gespannt war."
Wenns was gibt ...
Blaue Kacheln für's Bad gab es erst nach 5 Jahren Wartezeit, Westfernsehen war wichtig und heimlich RIAS hören, und Westpakete enthielten neben Kaffee oder Schokolade auch geheimnisvolle Botschaften – "Jute statt Plastik" zum Beispiel: "Musste es nicht 'Jutet statt Plastik' heißen?" Und Jochen wurde stets mit dem Zusatz einkaufen geschickt, "wenns was gibt, bringstes mit".
Nachkriegsessen
Wie viel einfacher ging es da im Westen zu, da gab es nicht nur alles zu kaufen, Mutter Wagner ließ das Reihenhaus auch ständig umbauen, immer stand Obst auf dem Tisch, aber sie kochte sparsam – "Mama war ein Kriegskind, weshalb es manchmal Kriegs- oder eher Nachkriegsessen gab."
Der Osten interessierte David Wagner nur am Rande, Mädchen waren wichtiger. Aber Erstaunen gab es – beispielsweise über den Bericht eines Mitschülers, der drüben Wildschwein gegessen hatte: "War die DDR so eine Art Gallien der Asterix-Hefte? Wurden da Wildschweine gejagt? War die Versorgung drüben wirklich so schlecht?"
Mauerfall
Die politischen Entwicklungen werden nicht ausgespart, aber eher beiläufig erzählt, die Perspektive bleibt die der Jungs, die toben, Eisenbahn spielen, Abenteuer suchen und (trotz aller Entbehrungen in der DDR) eine behütete und ziemlich unbeschwerte Kindheit erlebten, die sich hüben und drüben in vielem ähnelte.
Als die Mauer fällt, muss der eine bei der NVA früh aufstehen – Küchendienst. Sein lakonischer Kommentar: "Ein paar Stunden Schlaf wären mir lieber gewesen". Für den anderen ist es "ein außergewöhnliches Fernsehereignis, das mir zum ersten mal das Gefühl vermittelte, im Hier und Jetzt passiere etwas …"
(Christiane Schwalbe)
Jochen Schmidt *1970 in Ost-Berin, dt. Schriftsteller, lebt in Berlin
David Wagner *1971 in Andernach am Rhein, lebt als freier Schriftsteller in Berlin
David Wagner, Jochen Schmidt "Drüben und drüben"
Zwei deutsche Kindheiten
Rowohlt 2014, 336 Seiten, 19,95 Euro
eBook 16,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu David Wagner
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