Sherko Fatah
Der letzte Ort
Zwei Männer werden im Irak entführt. Der eine ist Deutscher, der andere Iraker. Sie sind Opfer von skrupellosen Gotteskriegern, die alle inneren und äußeren Feinde auslöschen wollen.
Nacktes Überleben
Der Autor kennt sich aus im Irak – er ist in der DDR als Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen geboren und oft dorthin gereist, um die Familie zu besuchen und für seine Bücher zu recherchieren. In "Der letzte Ort" führt er uns in eine Art Niemandsland und beschreibt, wie zwei von Terroristen entführte Männer sich in der Aussichtslosigkeit verlieren und langsam aber sicher auf die bloße Existenz zurückgeworfen werden. Es geht schließlich nur noch ums nackte Überleben.
Verlockungen des Westens
Albert kam ins Land, um beim Aufbau des seiner kulturellen Schätze beraubten Nationalmuseums zu helfen, Osama ist Sohn einer liberalen, westlich orientierten Familie, der als Übersetzer arbeitet. Den einen halten die Entführer für einen Agenten, der andere ist in ihren Augen ein Abtrünniger, der den Verlockungen des Westens erlegen ist.
Stolz auf ein Gewehr
"Die" Entführer gibt es eigentlich nicht, die beiden werden buchstäblich weitergereicht, durch die Wüste gekarrt, in verlassenen Dörfern und Ruinen untergebracht, misshandelt und gedemütigt; sie leiden an Körper und Seele, werden zum Teil von Halbwüchsigen oder gar Kindern bewacht, die kaum gelernt haben, mit der Waffe umzugehen.
"Er ist ein dummer Junge, er weiß es nicht besser. Das Beste, was er je hatte, ist dieses Gewehr. Er ist stolz darauf."
In ständiger Angst
Beide leben in quälender Ungewissheit und ständiger Angst.
"Aber es geht doch um Geld, oder?"
"Geld und Glauben."
"Sie schneiden also auch Köpfe ab", sagte Albert. Darauf Osama:
"Zuweilen, sagte er mit einem grausamen Lächeln, versetzt der Glaube auch Köpfe."
Am Ende liefert man sie einem lokalen Terrorführer aus, den Osama gut kennt. Mit ihm hat er wertvolle Kulturgüter gestohlen und weiterverkauft.
Zwanghafte Beziehung
Es ist ein Thriller, der einem mitunter den Atem raubt, und doch erwächst die Spannung nicht allein aus der lebensbedrohlichen Irrfahrt und - bis zum Schluß - aus der Unsicherheit, was als nächstes passiert. Verschleppung, Misshandlung und das Gefühl der Hilflosigkeit verändern die Wahrnehmung sowohl der eigenen Existenz, als auch der des anderen.
Neugier und Wachsamkeit
Es entsteht eine Beziehung aus angespannter Neugier und Wachsamkeit, in der einer den anderen seelisch zu ergründen versucht, aber auch an die Tiefen der eigenen Seele rührt, Erinnerungen an Kindheit und Familie wachruft. Bei Albert sind es die magersüchtige Schwester und der kommunistische Vater, der ständig auf Reisen ist, geschickt von der 'Dienststelle':
"Ja, die Fremde, das war ein wahres Reich der Privilegierten im Sozialismus der Eingepferchten, die kennen zu dürfen, eine Auszeichnung, und von ihr lehrreich zu berichten, der Gipfel der Wonne."
Bei Osama ist es der Spagat zwischen den Kulturen, mit dem er sich in den Augen der Täter schuldig gemacht hat:
"Sie behandeln ihn roh, weil er aus der Stadt ist, ein verwestlichter, ein schlechter Gläubiger, der noch dazu für die Ausländer arbeitet. Einer von denen, die ohnehin nicht mehr in dieses Land gehören ..."
Beklemmend authentisch
Immer wieder wird man bei der Lektüre dieses Buches von den Bildern des von schwarz verhüllten IS-Terroristen in die Knie gezwungenen amerikanischen Journalisten James Foley eingeholt, den sie später enthaupten - als habe der Autor geahnt, was die Terrormilizen Islamischer Staat im Norden Iraks im Schilde führen. Das macht diesen Roman, der den tiefgreifenden Konflikt zweier Kulturen abbildet, einmal mehr so beklemmend und authentisch.
(Christiane Schwalbe)
Sherko Fatah *1964 in Ost-Berlin, als Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen, seit 1975 in West-Berlin, freier Schriftsteller
Sherko Fatah "Der letzte Ort"
Roman, Luchterhand Verlag 2014, 288 Seiten, 19,99 Euro
eBook 15,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Sherko Fatah
"Der große Wunsch"