Martin Mosebach
Was davor geschah
Der Büchnerpreisträger 2007, Martin Mosebach, ist dabei, den Schritt vom Geheimtipp zum Vielgeliebten zu schaffen. Sein neues Buch, "Was davor geschah" (Hanser 2010) könnte dabei eine Hauptrolle spielen: Der Roman steht auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2010.
Der Autor lebt in Frankfurt/Main, und dort ? wie auch im "Speckgürtel" der Stadt, in den wohlhabenden Taunusgemeinden ? spielt dieses neue Wunder von einem Buch. Um es gleich vorweg zu nehmen: Selten habe ich mich mit so klugem Amüsement beschenkt gefühlt wie von Martin Mosebachs neuem Roman.
Gutbürgerliche Pool-Parties
Er zeichnet ein Porträt der gut bis gehoben bürgerlichen deutschen Mittelschicht der Gegenwart. Es sind gut vernetzte Frankfurter Geschäftsleute, die hier im Mittelpunkt stehen ? und ihre Liebesgeschichten, Trennungen, erotischen Eskapaden. Die Unternehmerfamilie Hopsten ? Geld spielt keine Rolle ? gibt gerne zwanglose Parties am Pool; man kommt, ohne direkt eingeladen zu sein, und plaudert bei einem sommerlichen Glas Weißwein mit Gleichgesinnten. Häufig bei Bernward und Rosemarie Hopsten zu Gast sind unter anderen die alten Schmidt-Flex und deren Sohn Hans-Jörg mit seiner brasilianischen Frau Silvi, außerdem der wienerisch-libanesische Schwerenöter Joseph Salam, ein Geschäftspartner von Hans-Jörg, und Rosemaries Freundin Helga.
Bei der Gestaltung seiner Figuren läuft Martin Mosebach zu ganz großer Form auf. Viele Autoren versuchen, vollkommen ohne Klischees auszukommen; aber Mosebach schafft es auch, und zwar elegant-mühelos, jedenfalls liest sich das Ergebnis so. Sein untrügliches Gefühl für Nuancen, die Gabe, dem Leser Menschen buchstäblich vor Augen zu stellen, sind einfach ein Vergnügen.
Ein bisschen wie bei den Buddenbrooks
Wer sich ein bisschen in der Literatur auskennt, wird spielerische Bezüge zu allerlei Klassikern entdecken. So hat der "Niedergang" des Hauses Hopsten durchaus etwas ? im kleinen - Buddenbrookhaftes, ist aber doch viel nüchterner und theatralischer zugleich. ("Die Hopstens haben was Neureiches", befindet denn auch der alte Schmidt-Flex.)
Das Zusammenfinden des etwas drögen Bernward mit der hübsch-unbedarften Silvi erinnert an Eduard & Ottilie aus den Goetheschen "Wahlverwandtschaften", und überhaupt lassen diese Frankfurter Bäumchen-wechsel-dich-Irrungen zuweilen an Shakespeares Komödien denken.
Ironie und Unerbittlichkeit
Mosebach lässt in einer Art Rahmenerzählung als "Ich" einen jungen Mann auftreten, der wie eine "Motte" diese merkwürdige Gesellschaft umschwirrt, ohne je wirklich in ihren Kreis aufgenommen zu werden. Mit wem dieser junge Mann spricht, wenn er spricht, das klärt sich am Ende des Buches auf, wenn der Autor die diversen gelegten Fäden wie in einem Krimi genial entwirrt ? und den Leser überrascht.
Über alles legt der Autor einen freundlichen Nebeltau aus mildem Spott, in einer Sprache, die in ihrem elaboriert-ironischen Grundton an Thomas Mann erinnert. Zugleich ist dieser Roman komisch, drastisch und unerbittlich: ein Festmahl in 33 Kapiteln.
(Gabi von Alemann)
Martin Mosebach *1951 in Frankfurt, vielseitiger Schriftsteller Romane, Drehbücher, Theaterspiele, Opernlibretti
Martin Mosebach "Was davor geschah"
Hanser Verlag 2010, 329 Seiten, 21,90 Euro, eBook 9,99 Euro
Audiobook 24,99 Euro, Hörbuch Download, gekürzt 17,95 Euro