Martina Hefter
Hey Guten Morgen, wie geht es dir?
Deutscher Buchpreis 2024
Juno liebt Sternbilder. Dafür muss sie gar nicht den Himmel beobachten, es reicht ihr die heimische Wohnzimmerdecke. Das alte Stuckrelief ist so oft übermalt worden, dass sich dort mit ein bisschen Fantasie jede Menge Planeten tummeln. Nachts liegt sie auf ihrer Gymnastikmatte und schaut nach oben.
Love-Scammer
Juno lebt in Leipzig, „macht ein bisschen was mit Theater" als „freiberufliche Performancekünstlerin, verdient mal mehr, mal weniger Geld", trainiert regelmäßig im Ballettstudio, um fit zu bleiben, und leidet unter Schlaflosgigkeit:
„Was war Schlaflosigkeit anderes, als die Sternbilder anzusehen und eine Art Schutz oder Dach über sich zu wissen ... Nicht zu schlafen war ungesund, raubte einem die körperlichen Ressourcen. Aber es war etwas, das nur ihr gehörte."
Sie hat noch einen anderen Zeitvertreib: Sie chattet - bevorzugt mit Love-Scammern - „braungebrannte Typen vor Segelyachten, weiße, grauhaarige Männer mit Basecap und Drei-Tage-Bart." Fake-Profile, denn in Wahrheit sind es jüngere Männer, die bevorzugt mit alleinstehenden Frauen Kontakt haben, um sie finanziell auszubeuten.
Spaß am Lügen
Juno lebt nicht allein und sucht auch keinen Mann. Aber einsam ist sie schon, vertreibt sich die schlaflose Zeit mit Antworten auf immer neue Anfragen, schwindelt und spottet:
„Zuerst machte das Spaß: Mit einem Typen lügen nach Mitternacht ... es war auf eine fiese Weise lustig. Manchmal zögerten sie. Are you serious? ... Wie sie strauchelten, unsicher wurden. Wie etwas in ihre Welt krachte, Trümmer von Juno Isabelle Flock, die ... in einem Zimmer neben Jupiter lebte, der nachts in einem Pflegebett lag ... Jeden Morgen hieß es raus aus dem Bett und rein in den Rollstuhl."
Das ist nicht nur Junos reale Welt, sondern auch die der Autorin: das Leben mit einem pflegebedürftigen Mann. Wenn Juno raus will mit ihm, muss sie die Nachbarn um Hilfe bitten, eine barrierefreie Wohnung können sie sich nicht leisten. Jupi ist Schriftsteller und gewinnt Preise, davon leben sie, außerdem von Fördergeldern und vom Pflegegeld, das regelmäßig überprüft wird – eine demütigende Angelegenheit. Aber Juno verzweifelt nicht, sie managt trotzig ihrer beider Leben - nur manchmal geht sie abends raus auf die Straße und weint.
Dann taucht im Chat plötzlich Benu auf, ein Mann aus Nigeria, der Joints raucht und nicht immer Strom hat und es scheinbar ehrlich meint. Juno ist misstrauisch, hält auch ihn nur für einen Love-Scammer und läßt sich doch darauf ein, liest Bücher über sein Land, schaut Dokus, sie telefonieren:
„Dennoch, alles an den Chats und Calls war eigentlich falsch. Eine Verbindung, die nur auf Lügen basierte, oder besser: auf der Unwahrheit. Und aus der Unwahrheit ergab sich wieder nur Ausbeutung."
Jupiter weiß von alledem nichts, er sitzt mit seiner Nervenkrankheit im Rollstuhl und schreibt – und dann hat er plötzlich wieder einen Schub und kippt um, während Juno unterwegs ist.
Wunsch und Wirklichkeit
Wie spielerisch, heiter und poetisch Martina Hefter von einer Wirklichkeit zur anderen springt und Junos Lebenswelten kunstvoll miteinander verknüpft, wie phantasievoll sie mit Sprache umgeht, manchmal nur in einem Nebensatz gesellschaftliche und politische Schieflagen benennt, und wie behutsam und doch eindringlich sie Junos Zerrissenheit schildert, das ist einfach großartig. Und immer auch witzig, denn Juno ist über fünfzig und denkt mehr als einmal darüber nach, ob Tatoos und Glitzerkostüme da noch angemessen oder Pizzazungen, Käsebrot und Spekulatius auf Dauer die richtige Ernährung sind. Zugleich schaut Martina Hefter hinter die Fassade, beschreibt Träume und Sehnsüchte und immer wieder den großen Optimismus dieser quirligen Frau, die so gern lebt und tanzt, auch wenn ihr Leben ein ständiger Spagat zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist.
"Beim Tanzen verließ man die Erdatmosphäre, so war es nun mal ... und das war's doch, weswegen man lebte, wegen der Freude."
Ein wunderbarer Roman, tragisch, komisch und zutiefst menschlich.
(Christiane Schwalbe)
Martina Hefter, *1965 in Pfronten/Allgäu, Autorin und Performerin, lebt in Leipzig
Martina Hefter "Hey Guten Morgen, wie geht es dir?"
Roman, Klett-Cotta-Verlag 2024, 224 Seiten, 22 Euro