Moritz Rinke
Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel
Buchpremiere in Worpswede ? das hatte sich Autor Moritz Rinke gewünscht, auch den Ort: Die Worpsweder Music-Hall, ein regional bekannter und viel besuchter Veranstaltungsort, der zum ersten Mal eine Lesung präsentierte -? ausverkauft.
Heimspiel
Im Publikum auch: Familie, Freunde, Bekannte von Moritz Rinke, der 1967 in Worpswede geboren und dort aufgewachsen ist und in seinem Roman "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel" das Künstlerdorf und seine Menschen ins Zentrum der Handlung stellt. "Meine Kindheit", sagt Moritz Rinke, "sitzt gewissermaßen da unten". Ein Heimspiel also, im Sinne des Wortes. Aber sein Roman sei nur zu einem Bruchteil autobiografisch.
Dialog dreier Generationen
Er bringt drei Generationen in einen Dialog, die 68er haben eine gewissen Dominanz. Aber nur zeitweise, zum Beispiel dann, wenn die Mutter von Paul auftritt, ehemalige Hippie-Frau, 68erin, Buddhistin, Lanzarote-Auswanderin, Salatesserin.
Paul ist die Hauptfigur, ein Galerist aus Berlin. Er kennt das Moor rundum Worpswede buchstäblich mit seinen Licht- und Schattenseiten auf den Bildern der Worpsweder Künstler, die 1000fach gemalt haben, was diesen Landstrich so typisch macht: Moor und Himmel, Himmel und Moor, Himmel, Himmel, Wolken, Bäume. Sein Vater wollte die Kapitalisten stoppen und sein Großvater schuf monumentale Bronzeskulpturen historischer Figuren, die im moorigen Boden des Elternhauses langsam versinken.
Im Moor vergraben
Moritz Rinke schreibt nicht nur urkomisch, er trägt es auch so vor: im Wechsel distanziert, ironisch und trocken, urplötzlich emphatisch, gestisch, expressiv. Aber es nicht nur die Komik, die seine Lesung so unterhaltsam macht, es ist auch das Geschichtsbewusstsein, das zwischen den Zeilen durchschimmert, zur Nazi-Vergangenheit des Künstlerdorfes führt und irgendwann einen Reichsbauernführer ans Tageslicht bringt. Er lag im Moor vergraben.
"Dieser Ort ist fantastisch, bündelt auf kleinstem Raum große Geschichte". Die Geschichte von 100 Jahren. Moritz Rinke, Jahrgang 1967, hat Teile davon erlebt, erzählt bekommen, nachgelesen oder erfunden. Und weiß: Jeder in diesem Künstlerdorf trägt sein Päckchen mit sich herum und tut sich schwer mit der Aufarbeitung.
Metapher für Vergangenheit
Paul erinnert sich lebhaft: an Großmutters Butterkuchen, an feste Regeln zur Mittagszeit und das obligatorische "Mohltied", an Touristen, die sich an den Fenstern die Nasen platt drücken, Spielen im Moorwasser und Gülle-Attentate. "Das Moor ist", sagt Moritz Rinke, "die literarische Metapher für Vergangenheit" und er selbst ein "Pendler zwischen Komik und Traurigkeit". So ist auch sein Roman: schräg, heiter, traurig, ironisch, historisch und politisch, eine seltene und gelungene Kombination.
(Christiane Schwalbe)
Moritz Rinke *16.08.1967 in Worpswede, Journalist, Schriftsteller (Theaterstücke), lebt in Berlin
Moritz Rinke "Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel"
Verlag Kiepenheuer & Witsch 2010, 496 Seiten, 10. Auflage, 19,95 Euro,
eBook 9,99 Euro, Audiobook 14,99 Euro, Hörbuch Download gekürzt 17,95 Euro