Uwe Timm
Vogelweide
Zwei Männer, zwei Frauen - zwei glückliche Paare. Anna und Ewald sind verheiratet und haben zwei Kinder. Er ist erfolgreicher Architekt und baut Siedlungen in China, sie ist Lehrerin für Latein und Kunst. In Partnerschaft, aber nicht zusammen, leben Selma, Silberschmiedin, und Eschenbach, studierter Theologe und erfolgreicher Unternehmer in der Software-Branche.
Vom Glück ins Begehren
Beide Paare führen ein gutes, sorgenfreies und zufriedenes Leben in Berlin, sie lieben und respektieren sich, Konflikte sind eher selten. Bis verbotene Leidenschaft dazwischen funkt: Begehren, Begierde, Lust. Die Zerstörung der Beziehungen ist unausweichlich - Wahlverwandtschaften: Anna und Eschenbach, Selma und Ewald.
Rückblick nach innen
Die Geschichte spielt in Berlin – im Rückblick. Als wir Eschenbach begegnen, lebt er als Vogelwart auf einer einsamen Insel in der Nordsee, mutterseelenallein, und spricht mit den "Geistern" seiner bewegten Vergangenheit. Seine Firma ist pleite gegangen, er hat alles verloren, nicht nur Vermögen. Auch die Liebe zu Anna, Ewalds Frau, mit der ihn eine heftige, heimliche Affäre verband.
Flucht und Erfolg
Anna beichtet ihrem Ehemann und flüchtet nach dem emotionalen Desaster zum Bruder nach New York. Später wird sie in Los Angeles eine erfolgreiche Galeristin werden. Selma schmiedet weiter "antike" Armreifen – und tröstet sich schließlich mit Ewald. Sie erwartet ein Kind – ihr größter Wunsch seit Jahren.
Der Grund für Eschenbachs Rückblick: Anna kündigt ihren Besuch auf der Insel an, auf der Eschenbach sich als bedürfnisloser, einsamer Eremit eingerichtet hat – Mitte fünfzig und im Beruf gescheitert. In der Liebe sowieso. Anna ist zwar erfolgreich, aber auch nicht glücklicher geworden.
Melancholischer Rückblick
Uwe Timm hat einen stillen, sehr melancholische Roman geschrieben, in dem sich vieles vermischt – politisch-historische und literarische Bezüge, der Blick auf Goethes "Wahlverwandschaften", Berliner Lifestyle neben naturverbundener Einsamkeit, schicksalhafte Begegnungen. Sanft und schön erzählt, anspielungsreich und lebenserfahren, bisweilen hintergründig, immer philosophisch nachdenklich. Eine Geschichte von Ehe, Liebe und Abschied in unserer sorglosen Wohlstandsgesellschaft, fast ein bisschen zu ruhig und abgeklärt.
(Christiane Schwalbe)
Uwe Timm "Vogelweide"
Roman, Kiepenheuer & Witsch 2013, 335 Seiten, 19.99 Euro
eBook 17,99 Euro, AudioBook 24,99 Euro, Hörbuch-Download 15,78 Euro