Zsuzsa Bánk
Schlafen werden wir später
"Das Knistern in den Lebensfäden – es ist laut geworden. Eine Angst hat sich in mein Leben gefressen. Sie wimmert an meinem Ohr, nagt an meinen Ohrläppchen. Legt die kalten Finger um meinen Hals."
Alte Wunden
Nur der allernächsten, besten Freundin vertraut Márta diese Angst an, in Emails, früh am Morgen oder wenn die drei Kinder im Frankfurter Zuhause endlich schlafen. Und Johanna, die Lehrerin, die sich, verlassen vom Geliebten, als sie gegen den Brustkrebs kämpfte, in den Schwarzwald zurückzog, öffnet sich der Freundin gleichermaßen, schildert, wie sich ihre unendlich scheinende Doktorarbeit über Annette von Droste-Hülshoff doch einem Ende zubewegt, spricht der Schriftstellerin immer wieder Mut zu, wenn die Arbeit am ersten Prosaband im Alltagskampf zwischen Kinderkrankheiten, dem meist abwesenden Ehemann und Theaterautor Simon und nackter Existenzangst zu ersticken droht. Und macht keinen Hehl aus Selbstzweifeln und alten Wunden:
"Nicht denken, ich bin das Wichtigste in meinem Leben. Die Droste-Hülshoff ist es. Ihre staubigen, gelbgenagten, abgeschickten oder niemals abgeschickten Briefe sind es…Mein Beruf ist das Wichtigste in meinem Leben. Weil ich sonst nichts kenne und habe. Weil ich sonst nichts bin. Nur was der Beruf aus mir gemacht hat und weiter täglich aus mir macht."
Große Herausforderungen
Auf fast 700 Seiten entfaltet Zsuzsa Bánk den Dialog zweier Herzensfreundinnen in kunstvoller, mit literarischen Anspielungen und lyrischen Fundstücken angereicherter Sprache. Ein moderner Briefroman ist dabei entstanden, der diese Gattung aus dem 18. Jahrhundert in gänzlich unerwarteter Weise wieder belebt. Die Zeit vom März 2009 bis zum Juni 2012, mit den unterschiedlich erlebten Jahreszeiten, den kleinen Erfolgen und großen Herausforderungen, den Abschieden, der Trauer und der nagenden Sorge wird in diesen Briefen zum Panorama zweier Frauenleben, genau beobachtet, mit großer Sorgfalt für die scheinbar nebensächlichen Details und keinen Augenblick banal oder langweilig. Beide Frauen, jetzt Anfang vierzig, kennen sich seit ihrer Kindheit und sind sich der Quellen ihrer Zuneigung mit Takt und Feingefühl bewusst und sicher:
"Aus meinem Leben scheint das herausgefallen. Deckenfresken mit Dir anzuschauen, Márti. Jemand hat es gestrichen. Gelöscht. Ohne uns zu fragen. Es gehört zu einer anderen Zeit. Der ich nur noch in meinem Traum begegne. Ja, heute Nacht habe ich dort mit Dir gestanden. Meinen Kopf an Deine Schulter gelegt und hochgesehen."
Frühe Wunden
Das Gespür für die Zeit, die nötig ist, um Schmerz zu verkraften, trägt Zsuzsa Bánks Roman über all die Fallen hinweg, in die etliche moderne ‚Frauenromane’ mit aufgesetzter Lustigkeit und banalem Gejammer geraten sind. Johannas
"viel zu hübscher, viel zu junger Vater, der uns im weißen Opel Kapitän mit den nachtblauen Sitzen übers Land fuhr, grün gestrichenes schattenreiches Taunusland ",
der Schauspieler, der Frau und Kinder zu oft vergaß und sich das Leben nahm, wird von Márta mit gnädigeren Augen betrachtet. Die Erfahrung der Freundin wird dadurch nicht ausgelöscht, aber im Diskurs bietet sich die Chance, die frühen Wunden allmählich zu überschreiben.
"…ich bin Deine Zeugin, Johanna, Deine Kronzeugin, Tatzeugin, Augenzeugin, Dein Gefühlsarchiv, Deine Zeugenbank, aber wer will die Wahrheit jetzt noch wissen, wo sollen wir aussagen und gegen wen?… Aber jetzt bist Du doch schon groß, liebste Jo, lass Deinen alten, jungen Vater ziehen und steh nicht mehr mit gesenktem Kopf vor ihm, sondern mit erhobenem, Schultern nach hinten, Kinn hoch, ja, wenn das so einfach wäre."
Traumsätze schreiben
Wenn das so einfach wäre – beide Frauen wissen sehr wohl, dass nichts einfach ist, und dennoch kristallisieren sich aus dem einander mitgeteilten Leben immer wieder Leuchtspuren heraus, die der Möglichkeit, künstlerisch und schöpferisch tätig zu sein, Wege weisen und den Alltag in anderem Licht erscheinen lassen. Die größte Angst ist immer die, diese Lebendigkeit gänzlich einzubüßen, wie Márta in einer dunkleren Stunde beklagt:
"Wir haben nicht aufgepasst, Johanna, unseren Schritteradius schrumpfen, unseren Gefühlsradius eindampfen lassen auf wenige Menschen, die jetzt von diesem Restsirup alles wegschlürfen"
- Fragen und Klagen, die heute nicht weniger aktuell sind wie zu Zeiten der großen Droste, in ihrem Schlösschen am Bodensee, als ihre Werke kaum eine Chance hatten, bekannt zu werden.
"Aus Deinem Wortsee werden Sätze nach oben schwimmen. Alles im Futur Eins. Du brauchst nur die Hände auszustrecken und die Wörter zu schnappen. Nachts im Traum schreibst Du sie schon auf. Setzt Dich an Deinen Traumschreibtisch und schreibst Deinen Traumsatz."
Blick auf die bessere Welt
Erwartungen, die zum "Angstgewebe", zum "Traum- und Wunschgewebe aus Jahren und Jahrzehnten" angewachsen sind, werden wechselseitig in Zsuzsa Bánks wunderbar komponierten Sätzen hin- und her gewendet, betrachtet und behutsam verändert. Die Frage, ob ein Leben mit oder ohne Kinder leichter zu bewältigen sei, verleiht dieser Komposition aus leuchtenden Lebenszeichen zwar eine gewisse Spannung, doch die Eroberung kreativer Räume und das Bewahren von Selbstvertrauen und Liebesfähigkeit sind ihre wesentlichen Eckpfeiler, und das gilt für beide mehr oder weniger selbst gewählten Lebensentwürfe. Durch "beschlagene Küchenfenster" schauen beide Frauen in eine bessere Welt, die irgendwo draußen liegen muss und derer sie sich in ihrer Freundschaft und in ihren Mails versichern, und die Schriftstellerin Zsuzsa Bánk hat über ihrer beider beredtes Standhalten gegen Müdigkeit und Angst einen großen Roman gemacht – für mich den eindrucksvollsten dieses Bücherfrühlings 2017.
(Lore Kleinert)
Zsuzsa Bánk, *1965 in Frankfurt/Main als Tochter ungarischer Eltern, vielfach ausgezeichnete deutsche Schriftstellerin,lebt in Frankfurt
Zsuzsa Bánk "Schlafen werden wir später"
Roman, S. Fischer 2017, 688 Seiten, 24 Euro
eBook 19,99 Euro, Audio-CD 24,95 Euro