Anna Hope
Was wir sind
"Du solltest an deinen Freundschaften festhalten, Lissa. An den Frauen. Am Ende werden nur sie für dich da sein." Guter Rat einer 68er Feministin an ihre erwachsene Tochter, aber bekanntlich ist guter Rat eben auch teuer.
Drei Freundinnen
Lissa ist Schauspielerin und schön, aber ab Mitte dreißig werden gute Rollen knapp:
"Ja, es ist wunderbar, dass sie eine Dreißigjährige spielen soll. Ja, zwischen dreißig und fünfzig passiert wenig, nicht bloß bei Tschechow, sondern überall. Vielleicht sogar im richtigen Leben. Vielleicht bedeutet das, eine Frau zu sein. Die Jahre im öden Land."
Ihre Studienfreundin Hannah hingegen hat fast alles erreicht: Einen angenehmen Mann, Erfolg im Beruf, nur das erhoffte Kind stellt sich auch nach etlichen In-Vitro-Fertilisationsversuchen nicht ein, und sie ist verzweifelt, denn Nathan verweigert weitere Versuche. Und die dritte im langjährigen Freundschaftsbund, Cate, die auf ihr einfaches, alternatives Leben immer stolz war? Sie ist ihrem Wunsch nach einer funktionierenden Beziehung, Wohnung und Kind gefolgt:
"Drei Monate später ist sie schwanger, neun Monate später sind sie verheiratet. Siebzehn Monate später wohnen sie in Canterbury. Es ist, als hätte das Leben die Entscheidungen getroffen. Das Leben hat sich Cate geschnappt, es hat sie in die Höhe gerissen und weit, weit weg von zu Hause wieder abgesetzt."
Andauernder Schlafentzug und die leise, bösartige Entfremdung von ihrem Mann und seiner Familie machen sie mürbe und depressiv.
Kleine Welten
Nicht das von den jungen Frauen ersehnte Glück der Erfüllung also, sondern die kleinen Durststrecken der mittleren Jahre sind es, die Anna Hope mit Akribie und Mitgefühl erkundet, während sie zugleich immer wieder in die Leben der Drei vor- und zurückblendet: In die Hoffnungen und Illusionen zu Beginn dieser lebenslangen Freundschaft, in das, was sich verändern lässt, und die Dinge, die für immer verloren sind. Eine komplexe Struktur, die viele Facetten im Leben junger Frauen aufscheinen lässt und zugleich mitreflektiert, welches Erbe sie im Gepäck haben, ob mit feministischer Mutter, wie Lissa, die Anfang der Achtziger als Kind bei den Clapham Common-Protesten für nukleare Abrüstung dabei war, oder Hannah, die die kleine und beschränkte Welt ihrer Arbeitereltern lange kritisiert hat,
"für ihren engen Horizont, ihre Naivität, ihre Arbeitermentalität. Und doch sind sie so freundlich. Sie haben ihre Kinder immer geliebt, und einander, bis heute. Wie haben sie das geschafft? Haben sie es im Laufe der Zeit gelernt? War es eine allmähliche Anhäufung von Gewohnheiten, von Tagen, von kleinen, simplen Gesten?"
Anspruch auf Glück
Anna Hope gelingt es, die kleinen Anpassungen ans Älterwerden, die Trennungen und Wiederentdeckungen geschickt ineinander zu verschränken und an allen drei Lebenswegen zu untersuchen, was es bedeutet, im 21. Jahrhundert als Frau zu leben, sich zu verändern, ohne den Anspruch auf persönliches Glück zu vergessen. Kaum etwas stellt Frauenfreundschaft mehr infrage, als wenn die eine mühelos bekommt, was die andere immer wieder verfehlt, und am schwierigsten wird es, wenn Sprachlosigkeit die feinen Risse früher Vertrautheit aufsprengt. 2018 kommen alle wieder zusammen, auf den London Fields, wo sie 2004 zusammengewohnt haben:
"Manchmal wirkt die Liste ihrer Sorgen endlos lang, der Kummer scheint sie zu zersetzen, und auszuhöhlen, sie und alle anderen, mit denen sie sich darüber austauschen. Doch es gibt auch eine lange Liste dessen, wofür sie dankbar sind, auch wenn das viel schwieriger in Worte zu fassen ist."
Generation der Töchter
Anna Hope begleitet das Trio auf seinen sehr unterschiedlichen Wegen, die sich doch immer wieder überschneiden. Die Fragmente ihres Lebens zusammenzufügen macht großes Vergnügen, ebenso wie nachzuvollziehen, wie ihre Entscheidungen, geprägt von Geschlecht und Umgebung, ihre Wege bestimmt haben. Und was aus den großen Verheißungen des feministischen Aufbruchs der 1970er und Achtziger Jahre für die Generation der Töchter geworden ist, betrachtet die Autorin mit Genauigkeit und Empathie.
(Lore Kleinert)
Anna Hope, *1974 in Manchester, englische Autorin und Schauspilerin, lebt in Sussex bei London
Anna Hope "Was wir sind"
aus dem Englischen von Eva Bonné
Roman, Carl Hanser Verlag München 2020, 368 Seiten, 22 Euro
eBook 16,99 Euro