Sally Rooney
Schöne Welt, wo bist du
„Die Luft, die wir atmen, ist giftig, das Wasser, das wir trinken, voller Mikroplastik, und unser Essen ist mit krebserregenden Teflon-Chemikalien kontaminiert. Die Qualität unseres Lebens nimmt ab und damit einhergehend die Qualität der uns zugänglichen ästhetischen Erfahrung.“
Miteinander reden
Nicht einfach für die Vier um die Dreißigjährigen, eine hoffnungsvolle Sicht auf die Zukunft zu entwerfen. Aber wie sie sich bemühen, sich abarbeiten, im Gespräch oder allein für sich, das entwickelt die irische Autorin Sally Rooney Schritt für Schritt, mit großer Ernsthaftigkeit und scharfem Blick auf ihre Generation: Aufschwung und materielle Sicherheit, in die sie hineingeboren wurden, erodieren krisenhaft und untergraben die Möglichkeiten, die Bildung und Aufstiegschancen geboten haben. Alice hat nach dem Bestsellererfolg ihres ersten Romans, der sie reich gemacht hat, einen psychischen Zusammenbruch erlitten und hat ein Haus auf dem Land bezogen. Sie lädt Felix, den sie über Tinder kennenlernt, ein, sie auf eine Lesereise nach Rom zu begleiten - er wiederum arbeitet als Lagerarbeiter, um Geld zu verdienen. In langen Mails tauscht sich Alice mit ihrer Studienfreundin Eileen aus, über die Liebe, die Arbeit, Armut und Reichtum, Religion und Moral. Allmählich gewinnen die Personen an Profil und Substanz, denn ihre Chance ist, sich mitzuteilen, miteinander zu reden, mit welchem Medium auch immer.
„Egal, was ich kann, egal, welches unbedeutende Talent ich haben könnte, man erwartet von mir, dass ich es verkaufe – ich meine das wortwörtlich, dass ich es für Geld verkaufe, bis ich viel Geld und kein Talent mehr habe. Und dann war’s das, dann bin ich fertig, und die nächste funkelnde Fünfundzwanzigjährige, die kurz vor dem psychischen Zusammenbruch steht, ist an der Reihe.“
Angst vor Nähe
Eileen, die kürzlich von ihrem Freund verlassen wurde, arbeitet für ein kleines Literaturmagazin und leidet unter Geldmangel und Angst vor Nähe. Wie sich dennoch eine große Kindheitsfreundschaft oder auch alte Liebe zu Simon neu entwickelt, beschreibt Sally Rooney facettenreich und mit tiefem Wissen um die Unsicherheiten dieser so aufgeklärten jungen Menschen, die sich anders schützen müssen als die Generationen vor ihnen. Sie demontieren sich, bewahren dennoch ironischen Abstand und sind zugleich zutiefst bedürftig, - und aufrichtig zu denen, denen sie vertrauen.
„Wenn ich wirklich Talent hätte, dann hätte ich mittlerweile auch etwas mit meinem Leben angestellt – ich mache mir nichts vor, was das angeht. Ich würde scheitern, wenn ich es versuchte, und deshalb habe ich es nie versucht.“
Einig sind sich die Frauen, „dass die Zivilisation in ihrer dekadenten Verfallsphase und grellen Hässlichkeit das vorherrschende visuelle Merkmal modernen Lebens ist“, während Simon Halt in seiner selbstverständlich gelebten Religiosität findet und Felix die drei anderen bei ihrer ersten, lange geplanten und mehrfach hinausgeschobenen Begegnung amüsiert beobachtet und herausfordert.
Schmerz vermeiden
Ein langer Anlauf, und mit elegantem Timing erkundet Rooney im letzten Drittel des Romans die Barrieren, die Menschen errichten, um den Schmerz zu vermeiden, der aus Nähe und Intensität entstehen kann. Ihre eigenen Erfahrungen als junge, sehr erfolgreiche Schriftstellerin gehen in ihren Roman ein, vor allem, wenn sich Alice mit dem Celebrity-Kult und seinen Auswüchsen auseinandersetzt.
„Sie kennen wirklich keinen Unterschied zwischen jemandem, von dem sie nur gehört haben, und jemandem, den sie persönlich kennen. Und sie glauben, dass ihre Empfindungen für diese Person, für die sie mich halten – Nähe, Abneigung, Hass, Mitleid – genauso echt sind wie die Empfindungen für ihre Freunde. Ich frage mich, ob der Celebrity-Kult irgendwie metastasiert ist, um die Leere zu füllen, die die Religion hinterlassen hat. Wie eine bösartige Wucherung, wo einst das Heilige war.“
Alice hasst das System literarischer Vermarktung, weil sie es durchschaut und dennoch den Zugang zur eigenen Produktivität wiederfinden muss. Sally Rooney ist sich bewusst, dass der Weg dahin über das ‚normale Leben‘ führen wird, das man kennen und teilen und erleiden muss. Die umfangreichen Diskurse ihrer Personen lassen soziales Mitgefühl und Sehnsucht nach Sinn als Treibfedern kenntlich werden, und der Roman bietet die große Chance, beides im Denken der so oft als verwöhnt gescholtenen Millenials zu entdecken.
(Lore Kleinert)
Sally Rooney, *1991 in Irland, bereits mehrfach ausgezeichnete irische Schriftstellerin, lebt in Dublin
Sally Rooney „Schöne Welt, wo bist du“
aus dem Englischen übersetzt von Zoe Beck
Roman, Claassen Verlag 2021, 351 Seiten, 20 Euro
eBook 9,99 Euro, AudioCD 8,90 Euro