Amitav Ghosh
Das mohnrote Meer
Amitav Ghoshs Roman ist ein pralles indisches Kolonialepos, ein unterhaltsamer und politischer Roman, der sich wie die Vorlage zu opulentem Bollywoodkino liest.
Ungewisses Schicksal
Sie kommen von überall, vom Land über den Fluss zum Meer, um von Kalkutta aus auf's gefürchtete "Schwarze Wasser" zu segeln. Auf dem ehemaligen Sklavenschiff "Ibis" treffen sich Wanderarbeiter, Auswanderer, Flüchtlinge, Unberührbare, Sträflinge, Frauen und Männer, nicht wissend, was die Zukunft bringt.
Die machtbewußten Briten zeigen ihnen eiskalt, wer Herr ist im Land und wer die Handelsrouten beherrscht.
Geld für Luxus.
Der in Indien geborene Autor erzählt von der Macht des Opiums und der Ohnmacht derer, die gezwungen sind, Opium statt Reis anzubauen. Sonst würden sie verarmen und verhungern.
Der Opiumhandel mit China bringt den Briten um 1830 enorme Gewinne und schaufelt Geld für teure Luxuswaren in die Kassen: Tee, Seide, Gewürze. Aber dann will China die Droge nicht mehr einführen, der erste Opiumkrieg beginnt.
Mittelalterliche Zustände
Amitav Ghosh fügt auch in diesem Roman viele unterschiedliche Lebensgeschichten zu einer großen Schicksalsgemeinschaft zusammen, in der niemand mehr ist, was er vorher war. Sie sind auf Gedeih und Verderb den Kolonialherren ausgeliefert, die die Menschen drangsalieren und unter mittelalterlichen Zuständen auf dem Schiff zusammenpferchen. Viele sterben schon in den ersten Tagen an der Seekrankheit.
Witwenverbrennung
In den Kapiteln "Land" und "Fluß" lernen wir die unterschiedlichen Schicksale kennen: Ditis Mann arbeitet in der Opiumfabrik , ist selbst süchtig und stirbt nach einem Unfall. Ihre Tochter wurde nach einem Missbrauch durch den Schwager gezeugt, der in ihr die willige Frau sieht, die ihn nun heiraten muß. Aber Diti will sich lieber mit ihrem toten Mann auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen. Auf dem Schiff wird es ein unbarmherziges Wiedersehen geben.
Auf dem Weg nach Mauritius
Ein Unberührbarer rettet sie vor den Flammen, flieht mit ihr über den Ganges nach Kalkutta. Die beiden nehmen neue Namen an und landen auf der Ibis. Hier treffen sie die verkleidete Paulette, die Tochter eines Franzosen, aufgewachsen in Kalkutta. Sie flüchtet vor dem Werben eines alten Richters und verliebt sich in einen Offizier der "Ibis". Der hat sich empor gearbeitet und ist ein Mischling, was er geschickt zu verbergen weiß.
Lebensgeschichten
Dann sind da noch ein frommer Hindu, in dem die Seele einer Frau wohnt und ein indischer Großgrundbesitzer, dessen Vorfahren schon geachtete und wohlhabende Herrscher der Brahmanen-Kaste waren. Opium bringt auch ihm Geld, bis er von seinem britischen Gläubiger übel betrogen wird und als Sträfling auf dem Schiff landet. Als Zwangsarbeiter wird er nach Mauritius befördert.
Wahrlich eine bunt zusammen gewürfelte Schicksalsgemeinschaft, zu der auch gedungene Kulis und Auswanderer gehören.
Geschichte
Ghosh erzählt von den Zwängen der indischen Gesellschaft, von Frauenverachtung und Witwenverbrennung, von feudalem Hochmut, Kasten(un)wesen, Aberglauben und Mut der einfachen Arbeiter, die nichts zu verlieren haben, von hinduistischem Fanatismus und von der Menschenverachtung der skrupellosen Kolonialherren.
Das ist spannend geschrieben, anrührend, dramatisch, oft grausam realistisch, manchmal etwas weitschweifig und bei aller Farbigkeit sehr politisch.
Ghosh geißelt den Kolonialismus, der unzählige Menschen in Drogenabhängigkeit, bittere Armut und Tod trieb und dem Land schließlich die Opiumkriege bescherte.
Ende offen
"Das mohnrote Meer" soll erster Teil einer Trilogie sein, und in der Tat: Der Roman endet am Anfang der Reise nach Mauritius, auf dem "Schwarzen Wasser" in der Bucht von Bengalen, kurz vor einem schweren Sturm.
Das weitere Schicksal der Menschen auf der "Ibis" dürfte angesichts der Fabulierkunst des Autors mühelos den historischen Stoff für zwei weitere Romane liefern.
(Christiane Schwalbe)
Amitav Ghosh *1956 in Kalkutta, indischer Schriftsteller
Amitav Ghosh "Das mohnrote Meer"
Karl Blessing Verlag 2008, 640 Seiten,21,95 Euro