David Grossman
Kommt ein Pferd in die Bar
Ein abgewrackter Komiker stolpert auf die Bühne in der israelischen Kleinstadt Netanja, umschmeichelt und beschimpft sein Publikum mit albernen Witzen, sexuellen Anzüglichkeiten, mit bösartigen politischen Anspielungen auf die besetzten Gebiete und den Holocaust.
Ungewohnter Ton
Jede Geschmacklosigkeit ist diesem Dovele G. recht, er schindet seinen Körper bis an die Schmerzgrenze, und die Zuschauer
"lassen sich mitreißen vom herzlichen Gegröle im Saal und von dem zauberhaften Lächeln, das plötzlich in seinem Gesicht aufleuchtet und es völlig verändert … ein fast feinfühliges Gesicht, das in keinerlei Beziehung zu dem zu bringen ist, was dieser Mann da absondert."
In seinem ersten Roman nach dem Tod seines Sohnes im Libanonkrieg entwickelt David Grossman einen völlig neuen, ungewohnten Ton, indem er die Suada des Dovele G. immer mehr in dessen private Erinnerungen ausschweifen lässt, und ganz allmählich verliert sein Protagonist die Kontrolle über seinen zynischen Wortschwall.
Rückblick in die Kindheit
Auslöser sind zwei Menschen aus seiner Kindheit: Ein pensionierter Richter, Avishai, der zugleich die Erzählerfigur ist, und ein ehemaliges Nachbarmädchen, eine sehr kleine Frau, die Dovele mit der Erinnerung, wie er damals auf den Händen ging und freundlich zu ihr war, aus dem Konzept bringt. Den Jugendfreund hat er – nach fast fünfzig Jahren - selbst gebeten, zu seiner Vorstellung zu kommen, und dieser Mann, der den Tod seiner geliebten Frau betrauert, nimmt zunächst die Rolle des befremdeten Beobachters ein.
Verzweifelter Monolog
Er fragt sich, was der abgewrackte Mann dem Publikum zu geben hat, doch dann wird er selbst in den immer heftigeren Erinnerungsstrom gezogen und sucht sich zu wehren:
"Ich beobachte, wie einige Gäste versuchen, nicht mit vollem Mund zu lachen: auch sie meiden seinen Blick, als fürchteten sie, in die heikle innere Abrechnung dieses Mannes verwickelt zu werden. Vielleicht spüren sie genau wie ich, dass sie auf merkwürdige Weise mit diesem Mann schon viel verstrickter sind als sie es eigentlich wollten."
Doch dieser verzweifelte Monolog des offenbar schwerkranken Dovele wird für den in Trauer erstarrten Avishai zum Dietrich - ein Wort aus seiner Kindheit, das ihm wieder einfällt - für seine eigenen verschlossenen Erinnerungen, an zwei Jungen, beides Außenseiter.
Wahrheit des Lebens
Als der kleinere Freund, der auf Händen ging, um nicht geschlagen zu werden, im militärischen Ferienlager abgeholt wird, weil ein Elternteil verstorben ist, stand Avishai ihm nicht bei. Je mehr der Mann auf der Bühne zur Wahrheit seines Lebens vordringt und seiner eigenen Hölle näherkommt, desto mehr wird auch dem Beobachter klar, was er verloren hat, und was der Freund von ihm erwartet:
"Das innere Leuchten. Oder das innere Dunkel. Dieses Geheimnis, dieses Beben der Einmaligkeit. Alles, was jenseits der Worte liegt, die einen Menschen beschreiben, was auch tiefer geht als die Dinge, die ihm im Leben widerfahren, die schief gegangen und zu einem Lügengespinst geworden sind."
Ein Leben lang Schuld
Was Grossman hier in Worte fasst, die Worte eines verzweifelten Clowns, ist die Geschichte des Sohns verstörter Holocaust-Überlebender, die von Trauer und Verlust erzählt. Auf seiner qualvollen Fahrt zur Beerdigung weiß er nicht, ob Vater oder Mutter gestorben ist, und er muss sich pausenlos die Witze des Fahrers anhören. Wie in Grossmans letztem großem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" bewegt sich die Geschichte auch diesmal zwischen dem Wunsch, der Katastrophe zu entgehen, und der Gewissheit, dass sie eintreten wird. Der Vierzehnjährige wird sein Leben lang an der Schuld tragen, dass er glaubte sich entscheiden zu müssen, wen er mehr liebt.
Zweite Chance
Der Schmerz rückt im Monolog, dem die Zuschauer immer mehr abhandenkommen, ins Zentrum seines Lebens. Grossmans atemberaubender Kunstgriff aber, ihn zum bitteren Komiker, zum begnadeten Unterhalter zu machen, birgt und bewahrt sein Leben, indem es auf einer Bühne zur Sprache kommt, für die, die die Vorstellung bis zum Ende ertragen, und für die Leser.
David Grossman schrieb dazu, das große Geschenk der Literatur sei, eine zweite Chance bieten zu können, was im Leben sehr selten ist. Doch seine Hoffnung beruht auf denen, die nicht wegsehen und sich dem Schmerz stellen.
(Lore Kleinert)
David Grossman *1954 in Jerusalem, wo er auch lebt, gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der israelischen Gegenwartsliteratur
David Grossman "Kommt ein Pferd in die Bar"
Übersetzt aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Roman, Hanser, 256 Seiten, 19,90 Euro
eBook 15,99 Euro