Dominique Paravel
Die Schönheit des Kreisverkehrs
"Dinosaurier jeder Art, Rebstöcke, Gottesanbeterinnen, Riesennägel, fliegende Untertassen, Cromagnonmenschen, aufeinander gestapelte Stühle, Wasserhähne, Straßburger Würstchen und weiterer Küchenplunder mehr."
Geschichte im Kreis
Solche Scheußlichkeiten sind in der Mitte der in Frankreich so beliebten Kreisverkehre zu bewundern, der Gestaltungsfantasie sind offensichtlich keine Grenzen des Geschmacks gesetzt – sieht man mal ab vom alles überstrahlenden Arc de Triomphe de l'Étoile, auf den immerhin zwölf Straßen münden. So stellte sich sein Erfinder, Eugène Hénard, einen Kreisverkehr vor. In der Provinz baut man ziemlich viele Nummern kleiner, bescheidener und – inzwischen – erinnerungsträchtig:
"Die Dekorationen auf den Mittelinseln werden heute als Kriegerdenkmäler genutzt. Noch die kleinste Gemeinde von Frankreich will eins haben, ihre Geschichte, ihre Besonderheit darauf festhalten."
Französisches Lebensgefühl
Joaquin Reyes ist Landschaftsarchitekt und arbeitet bei einem Unternehmen, das schon Hunderte solcher Kreismitten bebaut hat, immer dem Motto folgend: "Der Kreisverkehr ist das neue Wahrzeichen französischen Lebensgefühls." Als wieder mal ein Termin in der Provinz angesetzt ist, muss Joaquin eine Marketingberaterin erdulden, die den kleinen Ort allerdings nicht geradewegs und direkt ansteuert. Vivienne Hennessy ist ebenso eigenwillig wie störrisch und macht alle nur möglichen und unmöglichen Umwege, die Joaquin an den Rand der Verzweiflung bringen.
Falsches Leben
Beide hüten ein Geheimnis, das sie dem anderen verschweigen: Joaquin hat Diabetes, was er in der Firma aus Angst um seinen Job krampfhaft zu verbergen sucht. Das funktioniert so lange gut, wie er sich rechtzeitig und unbeobachtet Insulin spritzen kann – nicht aber auf diesem Roadtrip, wo seine "kognitiven Fähigkeiten zu schwinden beginnen", weil der Zuckermangel einen kritischen Punkt erreicht hat und alles verschwimmt.
Vivienne ist die reiche Besitzerin der Firma und hat bislang ein ziemlich chaotisches und mehr oder weniger durchgeknalltes Leben geführt.
"Sie hatte sich ein falsches Leben zurecht gelegt, ein gutimitiertes Scheinleben. Nach ein paar Monaten, einem, maximal zwei Jahren wurde die Wohnung zu klein, die Arbeit unerträglich, der Mann ermüdend. Sie gab eins nach dem anderen auf, zog sich wie eine Welle wieder zurück."
Immer im Kreis
Dominique Paravel lässt ihre beiden Protagonisten die Ereignisse kapitelweise aus der jeweils anderen Perspektive erzählen, so entsteht ein spannendes Geflecht gegenseitiger Wahrnehmungen der Ereignisse und der Personen – mit Vivienne blicken wir zurück auf ein ziemlich chaotisches Leben, und mit Joaquin erleben wir die Zwänge einer ehrgeizigen Karierreplanung. Auch die beiden drehen sich im Kreis, jeder auf seine Weise und miteinander.
Eine überaus vergnügliche Lektüre, in der unterschiedliche Lebensentwürfe klug und humorvoll beobachtet werden, mit ironischen Seitenhieben auf das politische Geschäft in provinziellen Gemeinderäten, die Entscheidungen doch lieber beim Barbecue treffen.
(Christiane Schwalbe)
Dominique Paravel, *1955 in Lyon, französische Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Autorin
Dominique Paravel "Die Schönheit des Kreisverkehrs"
"Giratoire" aus dem Französischen übersetzt von Lis Künzli
Roman, Nagel und Kimche 2017, 172 Seiten, 19 Euro
eBook 14,99 Euro