Josepha Mendels
Du wusstest es doch
"Für die Dauer eines Krieges" leben sie in London zusammen, Henriette Bas und Frans Winter, jüdische Emigranten aus den Niederlanden, die sich 1943 im Londoner Hyde Park zufällig begegneten
Zwischen den Zeiten
Eine Liebesgeschichte, eine Kriegsgeschichte - Josepha Mendels lässt in der geschundenen britischen Hauptstadt Blüten aus den Trümmern wachsen, wenn sie die Geschichte dieser kurzen Liebe im Vakuum zwischen den Zeiten erzählt. Der junge Dichter mit dem "verwöhnten Ohr", das seit der Kindheit nichts mehr hört, überstand das spanische Gefängnis, bevor er nach London fliehen konnte, und er nennt die große, selbständige Frau "Wichtel", in Erinnerung an einen Gartenzwerg. Für sie wird er zum "Rädertier", benannt nach winzigen, durchsichtigen Mehrzellern, die sich mit schwingenden Bewegungen durchs Wasser schlagen, und deren Männchen nur sehr kurz vom anderen Geschlecht geduldet werden: Henriette ist eine kluge Frau, die weiß, dass Frans zu seiner Familie zurückgehen wird, wenn die Nazis vertrieben sind, und so kommt es auch.
"Immerhin ist es das erste Mal, dass ich meine Unabhängigkeit aufgebe. Wahrscheinlich weil ich weiß, dass ich wieder allein sein werde, sobald Frieden ist. Ja, ich habe ein warmes Herz, und du könntest mir manchmal wehtun. Aber du, Rädertier, hast du auch schon darüber nachgedacht, dass du eines Tages unser Wichtelhaus wieder verlassen musst?"
Mitten im Krieg
Josepha Mendels erzählt das Zusammenleben der beiden Flüchtlinge wie ein Märchen, zart, poetisch, verspielt, doch zugleich, in den Rückblicken und Reflektionen wie in einem Fernglas voller Wehmut und mit traurigem Witz. Weil ihre Liebe von kurzer Dauer sein wird, gibt es keinen Grund für Geheimnisse: Frans hat noch andere Geliebte, und Henriette lädt sie irgendwann alle zum Essen ein. Sie machen einander nichts vor und erschaffen doch eine ganz eigene, bitter notwendige Wirklichkeit, mitten im Krieg, mit kleinen Bildern und Gedichten, Spielereien und schließlich, indem sie den Schmerz um die ermordeten jüdischen Verwandten teilen, - verlorene Seelen, die von ihren Familien abgeschnitten wurden. Henrietje weint um die Toten und die Freunde, die sie verlor, wie die Autorin Josepha Mendels auch, die in London für einen Nachrichtendienst arbeitete, mit 46 Jahren einen Sohn bekam und später als Schriftstellerin in den Niederlanden vielfach ausgezeichnet wurde. Ihre Romanfigur Frans schreibt einen herzzerreißenden Brief an seine Mutter, als er 1943 von ihrem Tod in Theresienstadt erfährt:
"Sie sind also kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag gestorben. An einer Krankheit? Oder hat man sie dort getötet oder verhungern lassen? Mutter, Mutter, werde ich das je erfahren? Aber will ich es überhaupt erfahren? Was hat man mit ihrer Leiche gemacht, wer war bei ihnen, als der Tod eintrat, diese Yvette, eine Fremde? Mutter, Mutter, wo ist ihr Grab?"
Blüten in den Trümmern
An seinem achtzigsten Geburtstag wird er sich an den 30. Geburtstagstag erinnern, "den er in London gefeiert hat, als er noch ein Rädertier war, mit einem Wichtel an seiner Seite", und die Trauer über das, was nicht möglich sein konnte, schwingt in diesem schönen Roman immer mit, ohne jemals in Sentimentalität oder Kitsch abzugleiten. Für weniger als die Dauer eines Krieges lässt Josepha Mendels Blüten aus den Trümmern wachsen, kunstvoll und mit Stil arrangiert, und wenn sie verblüht sind, bleibt die Legende einer einzigartigen Liebe zwischen einem unbeholfenen Dichter und einer großartigen Frau.
"Und damit wird dies ein Buch ohne Ende, denn alles, was sie erlebten, und auch, was sie vor ihrem Zusammenziehen erlebt hatten, wurde in ihren Herzen und Händen zu bunter Modelliermasse, mit der sie das Spiel der Liebe wahr machten und wieder zerstörten, aber nie so sehr, dass sie dadurch unbrauchbar und wertlos wurde."
(Lore Kleinert)
Josepha Mendels (1902 1995) wuchs in einer jüdisch-orthodoxen Familie in den Niederlanden auf, hat auch in Paris, wo sie ihren ersten Roman schrieb, und London gelebt.Sie wurde in den Niederlanden als Autorin mehrfach ausgezeichnet.
Josepha Mendels "Du wusstest es doch"
"Jet wist het toch" aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas
Roman, Klaus Wagenbach Berlin 2018, Quartbuch, 192 Seiten, 20 Euro
eBook 17,99 Euro