Khaled Khalifa
Der Tod ist ein mühseliges Geschäft
Es ist buchstäblich eine Höllentour, auf die uns der renommierte syrische Autor Khaled Khalifa schickt. In seiner Heimat sind seine Bücher verboten, aber er harrt aus, will dieses vom Krieg zerrissene und zerstörte Land nicht verlassen - wie Niroz Malek, der in "Der Spaziergänger von Aleppo" ebenfalls über Krieg und Zerstörung in Syrien schreibt. Er lebt in Damaskus, und dort beginnt auch die Schreckensfahrt der Geschwister Bulbul, Hussain und Fatima.
Im Zeichen des Todes
Ihr Vater, ein pensionierter Lehrer, der sich nach seiner Pensionierung um die Gräber der Märtyrer kümmerte und so gut es ging einen Friedhof pflegte – "das Terrain des Todes wurde sein Leben" - ist im Land der unzähligen Kriegstoten eines natürlichen Todes gestorben und hat vorher seinem ältesten Sohn Bulbul das Versprechen abgerungen,
"auf dem Friedhof seines Heimatdorfes begraben zu werden. Nach langer Zeit sollten seine Knochen nun neben den sterblichen Überresten seiner Schwester Leila ruhen … diese wenigen Worte, das war sein Testament."
Eines natürlichen Todes zu sterben und sich eine "normale" Bestattung zu wünschen – das ist Hohn in Zeiten, in denen überall am Straßenrand, in zerbombten Häusern und auf den Feldern unzählige Leichen herumliegen und verwesen oder in Massengräbern verscharrt werden. "Der Tod war wie eine gewaltige Flut, die alle umgab ... "
Willkür und Gewalt
In einem Minibus transportieren sie die Leiche, in Decken gehüllt und mit Eisblöcken gekühlt. Unterwegs erleben sie Ignoranz, Willkür und Gewalt, sind von Checkpoint zu Checkpoint wechselnden Gemeinheiten ausgesetzt. Einmal geht die Leiche als "Ware" für eine Passiergebühr durch, ein andermal wird sie verhaftet, weil der Name des Vaters auf der Fahndungsliste des Geheimdienstes steht, schließlich werden sogar ihre Kenntnisse des Koran unter Androhung von Waffengewalt auf die Probe gestellt. Ob Soldaten des Assad-Regimes, freie Armee, Scharfschützen, Revolutionäre, Straßenräuber oder IS-Milizen – sie alle stellen sich der kleinen Gruppe in den Weg. Militärkonvois zwingen sie, auf offener Strecke anzuhalten, Flugzeuge werfen Bomben ab, die Menschen halten angstvoll inne:
Der Lärm erinnerte an die Macht des Todes, der nicht weit weg schien … Ein langer Autokonvoi und blockierte Passagiere, die über die Nutzlosigkeit des Krieges sinnierten. Alle hatten sich ergeben, niemand dachte daran zu fliehen. Wohin auch. …
Spiegel eines zerütteten Landes
Während der Fahrt denken die drei über ihr Leben nach, sie haben sich längst nichts mehr zu sagen, ihre einstigen Hoffnungen und Träume begraben. Hussain, der Liebling und Stolz des Vaters, stürzt tief, wird Zuhälterund handelt mit Drogen. Bulbul, dessen Name übersetzt Nachtigall heißt, studiert Philosophie und scheitert an den korrupten Strukturen, denen sich Studenten und Professoren gleichermaßen unterwerfen. Fatima, die Lehrerin werden wollte, ist eine unterdrückte Hausfrau geworden. So begleiten den Vater noch im Tod die gescheiterten Lebensentwürfe seiner Kinder.
Khalifa erzählt in Rückblenden - mit feinem Gespür für Zwischentöne, lakonisch im Ton, manchmal fast komisch, dann wieder kühl und distanziert – auch das Leben des Vaters, das sich zwischen Widerstand und Revolution abspielte, in einer Familie, die zum Spiegel des politisch zerrütteten Syrien wird. Die drastisch geschilderte Zersetzung und Verwesung der Leiche wird Symbol für die Zerstörung des Landes, die mit Assads Unterdrückung jeglicher demokratischen Regung anfing. Angst, Denunziation und Verrat begannen das Leben der Menschen zu bestimmen.
Nur ein Packen Dokumente
Wer wissen will, was in Syrien passiert, der informiert sich über die Nachrichten. Aber dieser Roman, der auch den Leser an Grenzen des Erträglichen führt, erzählt nicht nur, mit welcher Gewalt menschliches Leben physisch und psychisch zerstört wird, sondern auch, dass das Zusammenleben in einer menschenwürdigen, respektvollen Gesellschaft in Syrien auf Jahrzehnte unmöglich gemacht worden ist. Wie ein zynisches Fazit dieses authentischen und tief berührenden Romans klingt denn auch die Äußerung eines Offiziers, der die Geschwister aufhält, weil die offizielle Todesurkunde fehlt: "Leben und Tod sind je ein Packen offizieller Dokumente".
(Christiane Schwalbe)
Khaled Khalifa, *1964 in Aleppo, Syrien, Autor zahlreicher Drehbücher, Kinofilme und Romane. Khaled Khalifa lebt in Damaskus, obwohl sein Werk in Syrien verboten ist.
Khaled Khalifa "Der Tod ist ein mühseliges Geschäft"
aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
Roman, Rowohlt 2018, 224 Seiten, 20 Euro
eBook 16,99 Euro