Niroz Malek
Der Spaziergänger von Aleppo
Wegen einer Kurzgeschichte aus dem Jahr 1996 wurde er in Syrien von der Staatsicherheit verhört und dann zwei Wochen lang in eine zwei mal ein Meter große Zelle gesteckt – ein sogenannter "Ohrkniff" des Regimes: Eine Drohung, denn beim nächsten Mal wird es schlimmer.
Wo die Seele lebt
Und dennoch harrt der 70jährige Niroz Malek aus, bleibt in dieser verwüsteten Stadt, lebt inmitten zerbombter Häuser, neben Menschen, für die der Alltag aus Angst, Leid und Tod besteht. Seine Familie ist längst geflüchtet, verstreut in der ganzen Welt leben Kinder und Enkel in Kanada, Deutschland, den USA, Belgien und den Niederlanden. Aber er bleibt, denn:
'Kann ein Körper ohne Seele leben? Aus diesem Grund werde ich meine Wohnung nicht verlassen: Weil ich meine Seele nicht in einen noch so großen Koffer stopfen kann. Meine Seele ist all das, was du in meinem Zimmer siehst … … ich bleibe hier, in meiner Wohnung, solange meine Seele weiterlebt."
Von Checkpoint zu Checkpoint
Wir spazieren mit ihm durch die Trümmer seiner Heimatstadt, von Checkpoint zu Checkpoint, die man an jeder Straße passieren muss, vorbei an Scharfschützen und qualmenden Ruinen, lassen uns erzählen von denen, die auch geblieben sind, weil sie zu arm sind oder zu alt oder weil sie auf den Mann warten, der irgendwo eingekerkert ist:
"Sie fürchtet hinauszugehen, während er plötzlich entlassen wird. Sie fürchtet, er könnte nach Hause kommen und die Tür verschlossen vorfinden, er, der doch keinen Wohnungsschlüssel hat."
Poesie ohne Anklage
Niroz Maleks Poesie kommt ohne Pathos aus, ohne Anklage, ohne Hass oder Bitterkeit. Es sind feine Miniaturen, Texte zwischen Leben und Tod, über Freunde, die gegangen oder gestorben sind, über die bittere Realität des Krieges, die alltägliche Not, über Grausamkeit und Gnadenlosigkeit von Soldaten, die sogar ein mongoloides Kind erschießen, weil es ihre Befehle nicht verstanden hat. Aber er schreibt auch über Träume und Bilder, die beruhigen und ablenken von der Trostlosigkeit im einst so schönen Aleppo und an eine Zeit erinnern, da es noch die Verlässlichkeit einer Kultur gab.
Manchmal erzählen seine Geschichten vom Traum von einem friedvollen Leben und von der Sehnsucht nach Frieden, aber:
"Spricht man das Wort 'Freiheit' aus, dann sollte man es besser nur ganz leise flüstern. Wehe, du äußerst es offen, so wie es die Syrer sechs Monate vor Beginn des Krieges taten, als die Menschen auf die Straße gingen und mit lauter Stimme 'Freiheit und Würde' forderten."
Barbiepuppen im Arm
Kinder malen in dieser Stadt keine Blumen mehr, keine Schmetterlinge und Sonnen und blaue Himmel. Sie malen zerstörte Häuser und verkohlte Bäume …. und tote Kinder: "Jungen mit einem Ball und Mädchen, die Barbiepuppen umarmen".
Ein verstörendes und sehr berührendes Buch über die Ohnmacht angesichts eines Krieges, dessen Ende nicht abzusehen ist, geschrieben von einem Chronisten, der die Hoffnung nicht aufgibt.
(Christiane Schwalbe)
Niroz Malek, *1946 in Aleppo, syrischer Autor von inzwischen sechs Romanen und acht Bänden mit Erzählungen, lebt in Aleppo
Niroz Malek "Der Spaziergänger von Aleppo"
Aus dem Arabischen von Larissa Bender
Weidle Verlag 2017, 144 Seiten, 17 Euro
eBook 11,99 Euro