Tahar Ben Jelloun
Sohn ihres Vaters
Es ist das achte Kind des marokkanischen Kaufmanns Suleimann – und es ist wieder eine Tochter. Der ersehnte Sohn und Erbe will einfach nicht kommen, also entschließt sich der enttäuschte Vater, die Dinge auf den Kopf zu stellen und aus der Tochter einen Sohn zu machen. Aus Zahra wird Ahmed, "ein kleiner Prinz".
Tausendundeine Nacht
Im Schatten der Moscheen wurden die orientalischen Märchen aus Tausendundeiner Nacht vorgetragen, Tag für Tag ein neues Kapitel, auf das die Zuhörer schon gespannt warteten. Und so begleiten wir auch den "Sohn ihres Vaters" auf seinem traurigen Weg in die Einsamkeit, auf dem Platz der Gaukler in Marrakesch erfahren wir seine Geschichte. Der Zwang, in die männliche Rolle zu schlüpfen, macht sein Leben trotz Macht und Ansehen zur lebenslangen Tortur.
Ohne Identität
Als er die behinderte Fatima heiratet, um seiner Rolle als Mann gerecht zu werden, entdeckt sie sein Geheimnis:
"Wir sind Frauen, noch bevor wir Krüppel sind, oder vielleicht sind wir auch Krüppel, weil wir Frauen sind." Wenig später stirbt Fatima und Ahmed zieht sich in die völlige Isolation zurück:
"Frau sein ist ein natürliches Gebrechen, mit dem sich alle Welt abfindet. Mann sein ist eine Illusion und ein Gewaltakt, der alles rechtfertigt und begünstigt."
Er landet bei einem Wanderzirkus, unternimmt die Pilgerfahrt nach Mekka und bleibt ein unglückliches Geschöpf zwischen den Geschlechtern, ohne eigene Identität.
Mystischer Bilderbogen
Die Erzähler wechseln sich ab, der eine hat Ahmeds Tagebuch, ein anderer kennt ihn, der nächste will Verwandter sein. Und so entsteht ein schillernder, mystischer und geheimnisvoller Bilderbogen um eine Figur, die von gesellschaftlichen und religiösen Zwängen in ein lebenslanges Gefängnis gesteckt wird. Eine kunstvoll erzählte, kritische Parabel über die Frauenfeindlichkeit eines fanatischen Islam.
"Der Islam der uns Angst macht"
Denn das ist immer wieder Ben Jellouns Thema: der Islam, die vielgeschmähte, weil so oft pervertierte Religion, die der Autor, der in Paris lebt, immer wieder erklärt und mit großer Empathie in Romanen und Sachbüchern verteidigt. Mit "Der Islam, der uns Angst macht" hat er eine neue Textsammlung vorgelegt, in der er u.a. den Motiven junger Männer nachgeht, für den IS in den Krieg zu ziehen, sich mit dem arabischen Frühling, dem Attentat gegen Charlie Hebdo und mit der aktuellen Diskussion um den islamistischen Terror auseinandersetzt und zugleich die Muslime der Welt aufruft, sich gegen den Islamismus zur Wehr zu setzen.
(Christiane Schwalbe)
Tahar Ben Jelloun *1944 in Marokko, bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb, lebt in Paris
Tahar Ben Jelloun "Sohn ihres Vaters
Aus dem Französischen von Christiane Kayser
Berlin Verlag Taschenbuch 2015, 191 Seiten, 9,99 Euro
"Der Islam, der uns Angst macht"
Berlin Verlag Taschenbuch 2015, 128 Seiten, 10 Euro
beide auch als eBook 8,99 Euro