Carmen-Francesca Banciu
Leichter Wind im Paradies
"Es gibt so viel zu sehen, und in Erinnerung bleibt so wenig", schreibt Carmen Francesca Banciu in ihrer sommerlichen Betrachtung ihrer Reise in die Berge der Mani, den "Mittelfinger" der griechischen Halbinsel Peloponnes. Doch was ist wesentlich, um sich zu erinnern, den Moment zu bannen, der unwiederbringlich vergehen wird?
Zu sich selbst finden
Die kleinen Momente sind es, die erste oder auch zehnte Zigarette auf der Terrasse des einsamen Hauses im Bergdorf, in dem sie den Sommer verbringen wird, um wieder zu sich zu finden. Die Zigarette, die sie dann doch wieder in die Schachtel zurücklegt, um sich weiter an ihrem Duft zu freuen.
Schritt für Schritt
Die Ameisen, die eine Straße zum Mülleimer bilden oder sich auf der Tastatur des Laptops breitmachen, der Gesang der Zikaden, die Windungen der Landstraße bis zum Meer, der Duft von Oleander und Salbei – die Autorin hält fest, was ihr begegnet, was sie wahrnimmt, wie die Natur sie umgibt und auffängt, und ihre kurzen, dichten Beschreibungen entwickeln einen ganz eigenen, poetischen Klang: wie die Terrasse zur ganzen Welt wird, auf der sie für Augenblicke alle Sprachen verstehen kann, oder wie immer mehr Dinge in einen Tag passen, je mehr sie lernt, wieder einen Schritt nach dem anderen zu tun, denn "überall sein ist nirgends sein…Man geht sich selbst verloren."
Immer in Bewegung
Nur wer sich wieder auf all seine Wahrnehmungen verlassen kann, wird den Reichtum der Natur empfinden, und mit der Autorin haben die Leser die Chance, den vielfältigen Bildern zu folgen, vom Meer, von Menschen, die sie beobachtet und denen sie begegnet, von einem Reichtum, der sich nicht fesseln oder bannen lässt, sondern nur in ihren fein ziselierten, geschwungenen Sätzen bewahrt ist. Über die griechische Krise erfährt man ganz nebenbei etwas, über die Menschen, die emigrierten, keine Zukunft hatten, dennoch etwas aus sich machten und zurückkehrten, obwohl es keine wirkliche Heimkehr geben konnte. Über Eirini, eine Frau, die nur am Meer leben will, die Gedichte schreibt und einen Pizzaladen führt und eigentlich Innenarchitektur studierte – ohne Arbeit in ihrem Beruf, aber immer in Bewegung.
Bezaubernde Bilder
Die Heuschrecken leisten Gesellschaft beim Schweigen, und Carmen-Francesca Banciu, die in Rumänien geboren wurde und nach einem Publikationsverbot seit 1992 als Schriftstellerin in Berlin lebt, gibt ihnen Namen aus der griechischen Mythologie und zeigt sie auf schönen farbigen Aufnahmen, die die Texte des Bandes begleiten. Wenn diese Begleiter mit den grünseidenen Flügeln sterben, nimmt sie Abschied, denn auch der Sommer wird zu Ende gehen, doch mit diesem Buch ist etwas von seiner einmaligen und zugleich ewigen Essenz festgehalten, ohne falsche Töne, in sich überlagernden, bezaubernden Bildern:
"Nichts geht verloren. Nichts stirbt. Es verwandelt sich nur. Ich weiß es. Und vergesse es immer wieder."
Ein Buch nicht nur für den Sommer, und nicht nur in Griechenland!
(Lore Kleinert)
Carmen-Francesca Banciu "Leichter Wind im Paradies"
PalmArtPress 2015, 164 Seiten, 16,90Euro
eBook 9,99 Euro