Tan Twan Eng
Der Garten der Abendnebel
Nach 34 Jahren kehrt die Richterin Yun Ling Teoh nach Yugiri im malayischen Hochland zurück, dem Garten neben der Teeplantage ihrer Freunde, wo sie als junge Frau versuchte, sich von den Gräueln des japanischen Internierungslagers zu erholen.
Rückkehr in Erinnerungen
Jetzt schwindet ihr Erinnerungsvermögen, und mit Hilfe eines japanischen Historikers kehrt sie noch einmal zurück in die bewegten Jahre nach dem Krieg, als nach der britischen Kolonialherrschaft und japanischen Besetzung der Kampf um die Zukunft des Landes tobte, aus dem nach dem Sieg über kommunistische Guerillatruppen schließlich das moderne Malaysia wurde.
Gefangen in Schuldgefühlen
Die junge Yun Ling, die der chinesischen Minderheit angehört, will einen Garten zur Erinnerung an ihre Schwester anlegen. Im Lager wurde die ältere als Zwangsprostituierte zu Tode gequält, während sie als einzige fliehen konnte und überlebte, durch Folter und Verstümmelung schwer traumatisiert und gefangen in Schuldgefühlen und ihren Erinnerungen.
"Ich ging durch den Garten, von dem ich schon mein halbes Leben lang wusste und wünschte, Yun Hong wäre bei mir. Sie hätte sich mehr daran erfreut als ich. Ich fragte mich, was ich hier zu suchen hatte, warum ich das Leben lebte, das meine Schwester hätte leben sollen."
Geschichte Malaysias
Japanische Gartenkunst, über die die Leser in diesem Roman ebenso viel erfahren wie über die Geschichte Malaysias und seine postkoloniale Vielvölkergesellschaft, hatte die Schwester begeistert, und der japanische Gärtner und Künstler Arimoto soll ihn entwerfen, denn er legte während des Krieges in Yugiri den einzigen japanischen Garten des Landes an. Er bietet Yun Ling an, sie auszubilden, und sie kommen einander näher, trotz der Verwundungen durch den Krieg und der vielen Geheimnisse, die sie voneinander trennen.
Dunkle Erinnerungen
Die strenge Ästhetik der Gartenkunst mit ihren eng an die Landschaft angelegten Kompositionsprinzipien, die Arimoto in einem grundlegenden Werk beschrieb, bietet den beiden sehr verschiedenen Protagonisten Raum, für eine kurze Zeit von ihren Verpflichtungen gegenüber den Toten und der Vergangenheit abzusehen.
"Leere. Wie schön, sich vorzustellen, man könnte alles abstreifen, was man gesehen, gehört oder durchlebt hatte."
Die junge Frau sucht das Vergessen, doch als alte Richterin, die vom endgültigen Vergessen bedroht ist, kehrt sie zurück in die dunkelsten Räume der Erinnerung, und die Leser sind mit der unfassbaren Nähe von Barbarei und raffinierter Schönheit konfrontiert.
Stilistisch virtuos
Tan Twan Eng, Jahrgang 1972, der lange in einer angesehenen Kanzlei Kuala Lumpurs arbeitete, für diesen Roman wichtige Auszeichnungen bekam und für die Shortlist des Man Booker Prize nominiert wurde, überblendet die Zeiten und Schicksale mit großer stilistischer Virtuosität und tiefem Verständnis für die Geschichte seines Landes. Ein Mensch ohne Gedächtnis ist für ihn wie ein Geist, gefangen zwischen den Welten, ohne Vergangenheit und Zukunft, und erst die Konfrontation mit dem, was wirklich in den Jahren der japanischen Besatzung geschah, gewährt Yun Ling Erlösung von Schmerz und Zorn, aber auch einen neuen Blick auf den japanischen Gartenmeister und eine unmögliche Liebe:
"Auch wenn ich mich verliere – der Garten wird zum Leben erwachen… Vor mir liegt eine unendlich lange Reise, und die Erinnerung ist das Mondlicht, das ich mir borge, um mir den Weg zu leuchten."
(Lore Kleinert)
Tan Twan Eng "Der Garten der Abendnebel"
Droemer-Knaur 2015, 464 Seiten, 19,99 Euro
eBook 17,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Tan Twan Eng
"Das Haus der Türen"