Mechtild Borrmann
Feldpost
Der Zufall spielt zunächst eine wichtige Rolle: Die Kasseler Anwältin Cara Russo bekommt Feldpostbriefe aus dem 2. Weltkrieg zugespielt und verfolgt die Spuren derer, von denen sie erzählen.
Verbotene Liebe
Eine Familie wird durch den Naziterror auseinandergerissen, nachdem der Vater, ein aufrechter Unternehmer wegen staatsfeindlicher Äußerungen im Gefängnis war und sein Geschäft abgenommen bekommt. Die Eltern flüchten bis Portugal, die erwachsenen Kinder bleiben in Kassel, und eine zweite Familie kauft ihre Villa zu einem symbolischen Preis – und gibt sie nicht mehr her. Borrmann verknüpft die Suche Caras nach Nachkommen und Zeuginnen mit dem, was im Krieg tatsächlich geschah: der Geschichte einer verbotenen Liebe zwischen den Söhnen der beiden Familien, die im Nazigefängnis gequält wurden, - der eine musste an die Ostfront, und der andere schaffte es, unter falschem Namen unterzutauchen. Ihre Briefe übermittelte die Schwester Alberts, Adele, die selbst in den Nachbarssohn Richard verliebt war und als Tarnung diente.
„Ich träume davon, endlich nach Hause zu kommen, aber manchmal fürchte ich mich auch. Ich frage mich, ob Du mich noch lieben wirst, wenn Du erfährst, was ich gehört und gesehen und schweigend hingenommen habe. Bitte schreib bald zurück! Deine Briefe sind das kurze Durchscheinen von Blau in einem grauen schweren Himmel.“
Tragische Schuld
Doch als Richard zurückkam und schließlich Arzt wurde, lebte er ein vollkommen anderes Leben und verbarg Liebe und Neigung jahrzehntelang, wie so viele Männer in diesen Jahren. Das Schicksal der Schwester Adele, die ihrem Bruder half und auch eine ukrainische Zwangsarbeiterin unterstützte, blieb für die Überlebenden und auch die hartnäckige Anwältin Cara ein Geheimnis. Auch sie wurde tragisch schuldig, und mit großer Spannung verfolgt man die Anstrengungen, die Leerstellen der Geschichte auszufüllen; mit dem Satz „Adele ist verschwunden“ beginnt die Suche der Anwältin, im Auftrag einer Frau, die zunächst ebenfalls wieder verschwindet, aber nach vielen Jahren für Unruhe sorgt, weil sie die Dinge nicht auf sich beruhen lassen will.
„Sie sind nicht verloren gegangen“, flüsterte er und betrachtet das ausladende Geäst der blattlosen Kastanie, das dunkle, erst breite, dann immer feiner verzweigte Linien auf den blassgrauen Himmel malt. Fünfzig Jahre! Fünfzig Jahre und einen Tod später kommen seine letzten Briefe zu ihm zurück.“
Suche nach Wahrheit
Mit Trauer stellen wir fest, wie viele Versuche, die Wahrheit herauszufinden, scheitern mussten, weil Zufall, Schweigen und Lügen zu vieles zudeckten. Dieser Roman beruht auf Recherchen Mechtild Borrmanns im Tagebuch-Archiv Emmendingen und auf wahren Lebensgeschichten. Es gelingt ihr, feinfühlig und sorgfältig den Weg einiger Menschen in Zeiten von Krieg und Terror nachzuzeichnen und zugleich die Grenzen der Geschichtsschreibung aufzuzeigen und zu überschreiten. Spannend wie ein Krimi, aber zugleich die Geschichte einer großen Liebe.
(Lore Kleinert)
Mechtild Borrmann *1960 in Köln, Pädagogin und Krimischriftstellerin, lebt in Bielefeld
Mechtild Borrmann „Feldpost“
Roman, Droemer Verlag 2022, 304 Seiten, 23 Euro
E-Book 18,99 Euro, AudioCD 20 Euro