Morten Strøksnes
Das Buch vom Meer
"Wie die Affen und alles andere Leben auf der Erde kommen wir aus dem Meer. Wir sind umgebaute Fische", und nicht nur deshalb hat Morten A. Strøksnes "Buch vom Meer" eine so anziehende Wirkung: Meerblau der feine Leineneinband, bedruckt mit Wellen, einem Boot und einem großen Hai.
Geheimnisse des Meeres
Der "leicht wieder erkennbare arktische Blauton" ist auch das Markenzeichen des Malers Hugo, der in den 70er Jahren in Münster Kunst studierte und nun seinen Freund, den Journalisten Morten, auf die Lofoteninsel lockt, wo er mit seiner Frau lebt – um einen Grönlandhai zu fangen, den größten Hai der Welt, der über 200 Jahre alt werden kann. Beide Männer sind dem Meer und seinen Geheimnissen schon seit langem verfallen und nehmen sich Zeit für ihr Abenteuer. Die große, auf Holzpfählen thronende Fisch- und Tranfabrik Aasjordbruket auf Skrova, früher Zentrum der Hochseefischerei der Lofoten und des nordnorwegischen Walfangs, ist der ideale Ausgangpunkt für ihre Ausflüge aufs Meer. In einem kleinen Kunststoffboot, mit Ködern aus Walfleisch oder Rinderkadavern folgen sie den Spuren der Meeresbewohner und sind sich ihrer Fremdheit bewusst:
"Könnten wir in der Kälte und Dunkelheit dort unten herumschwimmen, hätten wir den Eindruck, im Weltall zu schweben und von funkelnden Sternen umgeben zu sein beziehungsweise von Lebewesen, die man sich seltsamer kaum hätte ausdenken können … In der Tiefsee ist das Leben wie ein Traum, aus dem man nur langsam erwacht."
Klang und Farben
Mal hüllt Nebel Land und Meer in eine große Stille, die das Gehör zu einer „Art Geruchssinn“ werden lässt, mal vereiteln Stürme die Pläne der beiden, dann wieder glänzt die See wie eine zusammenhängende Fläche aus Licht, und für den Autor sind alle Stimmungen, Beobachtungen und vor allem die Gespräche mit Hugo Anstöße zu erzählen: Von den mythischen Vorstellungen, die sich die Menschen der Antike vom äußersten Norden, dem 'Ultima Thule' machten ebenso wie von noch kaum erforschten Unterwasserwelten, vom Zusammenbruch der Fischbestände als Folge von Raubbau und Umweltsünden, und immer wieder von der Schönheit der Meere:
"Das Meer hat viele Farben. Aber was ist sein Klang? Sind es Wellen, die leise an den Strand plätschern oder an windgepeitschten Küsten gegen Klippen und Felsen donnern? So hört es sich aber nur von Land aus an. Unter Wasser hingegen entwickelt das Meer einen tiefen, summenden Ton."
Geschichten und Legenden
Mit Begeisterung und Akribie lässt Morten Strøksnes, Jahrgang 1965, uns in seinem Buch an den Abenteuern der beiden Freunde teilhaben, und die Abenteuer des Geistes und der Phantasie überlagern die Jagd auf das gefräßige Unterwassermonstrum, das den roten Faden bildet, mit einem Geflecht wunderschöner Arabesken. Literarische Fundstücke verbinden sich darin mit alten Geschichten, Bräuchen und Legenden, fundiertem Wissen um die Ökologie der Meere und mit buntem Seemannsgarn zu einem unglaublich anregenden Lesevergnügen.
(Lore Kleinert)
Morten A. Strøksnes *1965 in Kirkenes/Norwegen an der Barentssee, lebt als Journalist und Autor, insbesondere von Sachbüchern, in Oslo
Morten Strøksnes "Das Buch vom Meer"
oder: Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen und dafür ein ganzes Jahr brauchen.
aus dem Norwegischen übersetzt von Ina Kronenberger und Sylvia Kall
Deutsche Verlagsanstalt 2016, 368 Seiten, 19,99 Euro
eBook 15,99 Euro