Richard David Precht
Tiere denken
Es ist sein Lebensthema, seit er mit dem Großvater ungezählte Male den Zoo besucht und sich vorgenommen hat, Zoodirektor zu werden. Tiere faszinierten ihn und - später dann - das einzig denkende Tier: Der Mensch, eingebunden in die Entwicklung der Tiere in der Evolution und ihre Einordnung in Philosophie und Religion.
Versuchskaninchen
Precht spannt den Bogen noch weiter zu aktuellen Diskussionen über eine neue Tierethik bis zum Umgang mit Tieren als buchstäblich medizinische Versuchskaninchen, als Opfer von Jägern, Schauobjekt im Zoo und – als Nahrungsmittel.
"Dieses Buch handelt nicht von denkenden Tieren, sondern nur von einem einzigen denkenden Tier - dem Menschen. Es handelt von der Schwierigkeit, die dieses denkende Tier hat, wenn es sich eine Vorstellung vom Innenleben anderer Tiere macht. Und davon, wie schwer wir uns im Nachdenken und Handeln tun, anderen Tieren gerecht zu werden."
Was ist der Mensch? Wo kommt er her? Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Das Erbgut von Mensch und Schimpanse unterscheidet sich schließlich nur um 1,6 Prozent. Ist es die Sprache oder der aufrechte Gang?
"Als «Primat», der Erste der Schöpfung, wie sich Homo Sapiens einst selbst definierte, stünde es ihm gewiss gut zu Gesicht, auch die Verantwortung des «Primaten» zu übernehmen: als Herrscher des Planeten zugleich dessen Beschützer zu sein."
Tiere als Mitgeschöpfe
Prechts Recherchen - Naturwissenschaften, Religion, Philosophie, Ethik - sind ausführlich und umfangreich, führen den Leser von den heiligen Tieren im alten Ägypten bis zu ihrer angeblichen Seelenlosigkeit in den monotheistischen Religionen, von ihrer Rolle als pfleglich zu behandelnde Arbeitstiere im Buddhismus bis zur vegetarischen Lebensweise der Hindus. Während René Descartes im 17. Jahrhundert Tiere noch als Maschinen und empfindungslose Automaten definiert, setzt sich im 18. und 19. Jahrhundert zunehmend die Ethik der Mitgeschöpflichkeit durch:
"Die Frage ist nicht: Können sie denken? Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?"
In England gibt es die ersten Tierschutzvereine und 1822 ein erstes Tierschutzgesetz. Parallel dazu geschieht etwas anderes:
"Just in diesem Augenblick nimmt die maßlose Qual der Tierfabrikation ihren Anfang: die völlige Entwertung tierischen Lebens ..."
Grenzenloses Leid
Precht stellt Fragen, ausgehend von Albert Schweitzers Schlüsselbegriff "Ehrfurcht vor dem Leben": Haben Tiere Rechte, Anspruch auf Lebensglück? Darf man ein Tier töten, um ein anderes zu schützen? Gehören Tiere in die menschliche Moralgemeinschaft oder sollen sie nur nach Kosten-Nutzen-Aspekten eingestuft werden? Denn während wir Haustiere vermenschlichen, schlachten wir Nutztiere, um sie zu essen. Aus egoistischen Erwägungen verdrängen wir ihr grenzenloses Leiden:
"Man erforscht mit Liebe und Mühe die Intelligenz von Affen und erkennt, wie verblüffend ähnlich sie uns sind; gleichzeitig meißelt man ihnen die Schädel auf, verstümmelt ihre Körper, vergiftet Seele und Leib und quält sie mit Elektroschocks im Dienst der medizinischen Forschung. Man definiert das Tier im Tierschutzgesetz als «Mitgeschöpf» und erlaubt jedermann, ihm aus «vernünftigen Gründen» Schaden zuzufügen."
Noahs Erbe
Als "Noahs Erbe" erschien sein Buch vor 20 Jahren schon einmal, Precht hat es umfänglich aktualisiert und überarbeitet und eine Fülle von philosophischen Denkansätzen und wissenschaftlichen Fakten zusammengetragen, die der derzeitigen Diskussion über Tierleid und vegetarisch-veganen Lebensstil, über Massentierhaltung und Tierethik jede Menge Argumente liefern.
(Peter Ehrenfried)
Richard David Precht, *1964 in Solingen, deutscher Philosoph und Publizist, Honorarprofessor für Philosophie
Richard David Precht "Tiere denken"
Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen
Goldmann Verlag 2016, 512 Seiten, 22,99 Euro
eBook 18,99 Euro