Sigrid Damm
Goethe und Carl August - Wechselfälle einer Freundschaft
Als Großherzog Carl August auf der Rückreise in sein Fürstentum Sachsen-Weimar-Eisenach starb, trug Goethe in sein Tagebuch lapidar ein: "Die Nachricht vom Tode des Herzogs störte das Fest."
Außerordentlicher Geist
Man hatte im Haus am Frauenplan ausgiebig gespeist, die Gäste mit Musikanten unterhalten – und erst Monate später war der Dichterfürst in der Lage, über den toten Herzog, mit dem ihn mehr als fünfzig Jahre Freundschaft verbanden, zu sprechen und den zehn Jahre jüngeren als "außerordentlichen Geist" und begabten und ungewöhnlichen Herrscher zu würdigen, der ihn lebenslang unterstützte:
"Ich bin ihm unendlich viel schuldig, indem ich ihm eine Existenz verdanke, ganz nach meinen Wünschen, ja über meine Wünsche…"
Sigrid Damm blickt von Carl Augusts letzter Reise zurück auf die Anfänge dieser Freundschaft und die weiten, verschlungenen Wege beider Männer, die sich oftmals berührten und zusammenliefen, sich immer auch wieder voneinander entfernten.
Ehrgeiziger Fürst
Die politischen Erschütterungen nach der französischen Revolution und später Napoleons Eroberungen und Niederlagen bildeten den Rahmen: Carl August war ehrgeizig und immer darauf bedacht, sein kleines Land zu modernisieren und umzugestalten, denn er war sich im Klaren darüber, wie schnell es der Gier größerer und mächtigerer Herrscher zum Opfer fallen konnte. Goethe verhehlt seine Abneigung gegen Carl Augusts politische Pläne nicht, spricht verächtlich von "Betriebsamkeit, von Motion der Kleinen", und seine Neigung zum Militär lehnt er ab. Napoleons Ausspruch, Carl August sei "der unruhigste Fürst in ganz Europa", kann zwar auch als Kompliment aufgefasst werden, doch Goethes Bewunderung für Napoleon wurde zur Belastungsprobe für die Freundschaft. Als der Weimarer Herrscher nach den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongress die Pressefreiheit in seiner frühliberalen neuen Verfassung verankerte, bleibt Goethe skeptisch.
Vergangene Welt
Sigrid Damm streift dezent und kundig die Auseinandersetzungen um die Intendanz des Weimarer Theaters, von der ihn der Herzog 1817 entbindet und den Dichterfürsten damit erzürnt. Doch als Carl August durch die Karlsbader Beschlüsse gezwungen wird, seine liberale Politik aufzugeben, tritt Goethe solidarisch an seine Seite. Die Verschiedenheit beider Männer wird in Damms kluger und durch akribische Recherche fundierter Erkundung leuchtkräftig und lebendig kontrastiert. Vor allem ihre souveräne Reise durch die vielen Jahrzehnte führt dazu, dass sich das Verhältnis von Charaktereigenschaften und den jeweiligen Zeitumständen ebenso leichtfüßig wie schlüssig entwickelt - und niemals als im Nachhinein besserwisserisch oder konstruiert erscheint. Sigrid Damm stellt Fragen und ordnet ihr reichhaltiges Material so elegant an, dass man nicht auf vorschnelle Antworten setzt, sondern sich mittragen lässt, in eine andere, vergangene Welt. Alltags-, Sozial- und politische Geschichte sind dabei aufs Schlüssigste verbunden.
Nelkensamen und Birnenekerne
Manchmal beauftragt der Fürst seinen Staatsminister mit Aufgaben, die seinem Amt kaum angemessen sind, Nelkensamen soll er beschaffen, oder auch eine Masse von Birnenkernen. Goethe gibt sich redliche Mühe und beschafft in Jena mehrere Säcke der Holzbirnen:
"Wenn Ew. Königliche Hoheit Gegenwärtiges erhalten, so findet sich ein solcher Fruchthaufen aufgeschüttet in meinem Gartenhause an der Ackerwand, wo sie nach Ew. Hoheit Disposition sogleich abgegeben werden können. Wie die Kerne daraus zu gewinnen und wie ferner damit zu verfahren sey, werden die Gartenverständigen gar wohl ermessen, und schon eine ziemliche Strecke Zaun damit anpflanzen können."
Ein Spiel zwischen Freunden, ein spielerischer Umgang, der die Spannungen zwischen Staatsminister und Fürst, Dichter und Politiker immer auch wieder zu mildern half. Der Schock über den plötzlichen Tod des Jüngeren wirkt lange nach, doch im Gespräch mit Eckermann hebt der Dichter drei Eigenschaften seines Fürsten besonders hervor, die Gabe nämlich,
"Geister und Charaktere zu unterscheiden", zweitens sei er "von der reinsten Menschenliebe …beseelt gewesen" und drittens lobt er: "Er sah überall selber, urtheilte selber und hatte in allen Fällen in sich selber die sicherste Basis",
- ein Fürst, der sich nichts einreden ließ. Und wie Sigrid Damm erzählt, ein großzügiger Mann, dem die deutsche Literatur viel zu danken hat.
(Lore Kleinert)
Sigrid Damm, *1940 in Gotha/Thüringen, Schriftstellerin, erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, lebt in Berlin und Mecklenburg
Sigrid Damm "Goethe und Carl August"
Wechselfälle einer Freundschaft
Insel Verlag 2020, 320 Seiten, 24 Euro
eBook 20,99 Euro