Andreas Pflüger
„Herzschlagkino“ - 77 Filme fürs Leben
„Die besten Filme verändern uns; mitunter sofort, manchmal erst Monate, sogar Jahre später, wenn uns plötzlich, vielleicht durch einen Satz, ein Bild, eine Zeile in einem Roman, das Lächeln einer Frau in einem Café, bewusst wird, was damals im Kino mit uns geschehen ist.“
Liebeserklärungen
'Diva' von Jean-Jacques Beineix war der Film, der Andreas Pflüger zum Opernliebhaber machte, ein zugleich kühler und leidenschaftlicher Film, und wir erfahren auf kleinem Raum etwas über das Lebensgefühl der Achtziger, die Musik, die der Autor beim Schreiben von Dialogen hört und über die Magie des Kinos. Man muss nicht alle 77 Lieblingsfilme gesehen haben, es schadet jedoch nicht, und das Buch ist in jedem Fall eine Einladung. Eine sehr persönliche und keinesfalls eine Inhaltsangabe all der schönen Filme, dazu gibt es ja Filmlexika. In jeder einzelnen Liebeserklärung lernen wir den Autor, seine Begeisterung, seine Sicht auf Kino und die Welt kennen, und wer die Gabe hat, sich anstecken zu lassen und sich einlässt, hat viel gewonnen. Pflüger ist kundig, schreibt er doch seit langem Drehbücher und weiß:
„Ein Autor muss seine Figuren lieben, alle, sonst sind sie so lebendig wie Insekten in einer Klebefalle.“
Sicher kann man über den großartigen Film 'Fargo' noch viel mehr sagen, doch Pflüger trifft ins Schwarze, wenn er schreibt, was er an den Coen-Brüdern am meisten schätzt, (wird hier nicht verraten), und wie er seinen Freund Murmel Clausen beim gemeinsamen Drehbuchschreiben kennenlernte, wie aus der Zwangsgemeinschaft Freundschaft wurde und was das mit 'Fargo' zu tun hat. Unter Drehbuch-schreibenden Kollegen wäre auch Wolfgang Kohlhaase zu nennen, der mit dreiundsiebzig die unverwechselbaren Dialoge von 'Sommer vorm Balkon' verfasste, „so verwegen und kackfrech, als wäre er ein junger Wilder, der mit links die alte Drehbuchgarde vom Feld fegen will“ - und der Unterschied zwischen der Sprache in Drehbüchern und der der Romane wird hier elegant mitgeliefert.
Heimlicher Star
Was ist wichtiger, der Anfang oder das Ende des Films? „Der Anfang ist wichtig. Aber es werden bessere Szenen folgen.“ Der erste Satz, Pflüger weiß es, wird nie der Beste sein, und wie er die Qualitäten des Films 'American Beauty' von Sam Mendes würdigt, diese bitterkomische Entlarvung des amerikanischen Traums, die Räume, die an Edward Hoppers Bilder erinnern, ist ebenso pointiert wie elegant. Ein Film, ausgezeichnet mit fünf Oscars, und Pflüger vergisst nicht zu erwähnen, dass sich ausgerechnet Annette Bening leider mit einer Nominierung begnügen musste. Überhaupt die Schauspielerinnen und Schauspieler: Martin McDonaghs Meisterwerk 'Three Billboards outside Ebbing, Missouri' lebt von ihnen, von Woody Harrelson, dem heimlichen Star, von dem Pflüger nie dachte, „dass mehr in ihm stecken würde als einen Einfallspinsel zu spielen“, und der einzigartigen Frances McDormand baut er ein schönes Podest:
„Ihr Gesicht ist traurig und komisch zur selben Zeit; in einem Blick von ihr findet sich so viel Wahrheit wie in den zornigsten, zärtlichsten Songs von Dylan. Sie könnte mit inzwischen sechsundsechzig Jahren Aphrodite spielen, und ich würde es ihr glauben.“
Riesiger Spaß
In 'The Big Lebowski', für die meisten ein riesiger Spaß und wenig mehr, entdeckt der Autor immer wieder neue Anspielungen auf andere Werke, und wenn er ihn als „Hirnschleifmaschine“ bezeichnet, weil größtmögliche Verwirrung den Verstand schärfen kann, wird man den Film beim nächsten Mal mit anderen Augen sehen. Andreas Pflüger beteiligt uns auf kundige und zugleich leichtfüßige Weise an seinem großen Wissen, seinen Beobachtungen, seinem Leben mit diesen 77 Filmen, und das ist weit mehr als ein riesiger Spaß. Dass er Clint Eastwood als großen Regisseur würdigt, 'Bird' als seinen poetischsten Film und 'Million Dollar Baby' als den ergreifendsten erkannt hat, zeigt, wie gut sich seine Begeisterung mit Kenntnis und Urteilsfähigkeit verbindet. Und wir glauben ihm sofort, wenn er, im Kapitel über „Garp und wie er die Welt sah“ feststellt,
„…dass erst die letzte Szene darüber entscheidet, ob wir eine Komödie oder ein Drama gesehen haben. Beim Abspann wissen wir: So ist das Leben, so ist die Liebe, so ist der Tod.“
(Lore Kleinert)
Andreas Pflüger, *1957 in Thüringen, aufgewachsen im Saarland, Autor von Theaterstücken, Drehbüchern für Kino- und Fernsehfilme, Hörspielen und Romanen, lebt in Berlin
Andreas Pflüger „Herzschlagkino“
77 Filme fürs Leben
Arche Literaturverlag 2023, 177 Seiten, 17 Euro
eBook 13,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Andreas Pflüger
“Geblendet“ - Thriller