Irene Vallejo
Papyrus - Die Geschichte der Welt in Büchern
“Die Leidenschaft des Büchersammlers gleicht der eines Reisenden. Jede Bibliothek ist eine Reise; jedes Buch ein Fahrschein mit unbegrenzter Gültigkeit.“
Bewahrung der Schöpfung
Am Anfang stand die Faszination: über die Fragilität von Büchern und über ihr hartnäckiges Überleben. Inspiriert begleitet Irene Vallejo das große Abenteuer der Reise der Wörter und ihren Kampf gegen das Vergessen durch die Zeiten. In den dreißig Jahrhunderten seit ihrer Erfindung sahen sich Bücher vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt: Nicht nur Armut und Analphabetismus verbauten den Zugang zu ihnen, sondern ebenso Kriege, Naturkatastrophen und die Zensur der Diktatoren, bis heute.
Vallejos Reise beginnt bei den berittenen Männern, die im Auftrag des ägyptischen Pharaos Ptolemaios III. ausgesandt waren, so viele Bücher wie möglich zu erwerben und heimzubringen. Die „Bewahrung unserer wertvollen Schöpfung: der Worte, die kaum mehr als nur ein Lufthauch sind; der Fiktionen, die wir erfinden, um dem Chaos einen Sinn zu geben“, war zur Lebensaufgabe des Pharaos geworden, ein anderer Weg zur Eroberung der Welt als der seines kriegerischen Jugendfreundes Alexander des Großen. Die Bibliothek von Alexandria sollte das Wissen der damals bekannten Welt bergen, die brillantesten Köpfe versammeln und ihre Schriften bewahren.
Grenzenloser Raum
Vallejo befasst sich anschaulich und kundig mit der „Haut der Bücher“, dem empfindlichen Papyrus, bald von Pergament abgelöst, das Bücher zu bewohnten Körpern werden ließ. Immer stellt sie Bezüge zwischen der Antike als Ausgangpunkt der Reise und unserem heutigen Drang nach Geschichten her, und so sehr sich die alte Welt von unserer unterscheidet, so nachhaltig wirken die „gefiederten Erzählungen“ längst vergangener Kriege und Abenteuer nach.
„Wir sind die einzigen Lebewesen, die fabulieren, die die Dunkelheit mit Märchen vertreiben, die durch die Geschichten lernen, mit dem Chaos zu leben, die mit dem Hauch ihrer Worte die Glut der Lagerfeuer schüren, die weite Strecken zurücklegen, um Geschichten zu Fremden zu bringen.“
Aus der langen Zeit bloßer Mündlichkeit blieben ferne Echos in der Aufzeichnung von Sagen, Mythen oder Liedern, und mit der Schrift wurde der Speicher menschlichen Wissens zum grenzenlosen Raum. Das dauerte viele Jahrhunderte lang, und auf Vallejos Reise begegnen wir den griechischen Denkern, ihrer Eroberung der Freiheit des Erzählens und schließlich den Dichtern Roms, die es leichter hatten, an Bücher heranzukommen.
Zuflucht im Kloster
Die Dichterinnen Roms allerdings, daran lässt Vallejo keinen Zweifel, hatten kaum eine Chance, ihre Verse und Geschichten zu überliefern. Nur kleine Textfragmente haben uns erreicht, denn Männer befanden darüber, welches Buch es verdiente, an die Nachwelt weitergegeben zu werden, und die Stimmen der Dichterinnen gingen verloren.
„Die Welt zu denken ist ein Handwerk, das sich den Büchern und der Lektüre verdankt, einer Situation also, in der wir die Worte sehen und geruhsam über sie nachdenken können, statt sie nur im raschen Fluss der Rede ausgesprochen zu hören.“
Die ersten Buchhandlungen entstanden, zunächst meist Kopierwerkstätten, in denen Sklaven eifrig die Schreibrohre schwangen, und die Verse gelangten schließlich in die Hände eines breiteren Publikums. In den Jahrhunderten der Anarchie nach dem Zusammenbruch des Römischen Reichs waren es die Klöster, in denen die Buchkunst eine Zuflucht fand, bis die Ideen wiederentdeckt wurden.
Erben der Geschichte
Vallejo verschweigt nicht, wie gefährlich der Beruf des Buchhändlers immer schon war, denn gerade in Zeiten der Repression sind die Buchhandlungen nicht selten Tore zum Verbotenen, was Despoten aller Zeiten sehr bewusst war. Und in der Ära neuer Technologien bleibt es eine Herausforderung, Informationen zu organisieren, ebenso groß wie schon zu Zeiten der Ptolemäier.
„Bücher machen uns zu den Erben sämtlicher Geschichten: der besten, der schlechtesten, der vieldeutigsten, der problematischsten, der ambivalentesten. Wer den ganzen Fundus parat hat, kann besser reflektieren und auch auswählen.“
Irene Vallejos in Spanien vielfach ausgezeichnetes und wunderbar übersetztes Buch ist ein Zeugnis nicht nur profunder Kenntnis, sondern auch großer Liebe: zu all denen, die den Schatz der besten Geschichten, Gedanken und Träume im Laufe der Zeit retteten und dafür kämpften, ihn weiterzureichen.
(Lore Kleinert)
Irene Vallejo, *1979 in Saragossa, spanische Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin mit mehreren Auszeichnungen
Irene Vallejo „Papyrus - Die Geschichte der Welt in Büchern“
aus dem Spanischen von Maria Meinel und Luis Ruby
Diogenes Verlag Zürich 2022, 752 Seiten, 28 Euro
eBook 24,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Irene Vallejo
Elyssa, Königin von Karthago Roman