Bushra al-Maktari
Was hast du hinter dir gelassen
Stimmen aus dem vergessenen Krieg im Jemen
“Schreiben ist für mich eine Form des Widerstandes” sagt Bushra Al Maktari, die unter Lebensgefahr kreuz und quer durch den Jemen gefahren ist, um das Leid derer zu dokumentieren, die als Zivilisten Opfer des Bürgerkriegs geworden sind.
Ein Stellvertreterkrieg
Es ist ein vergessener Krieg, aus den Schlagzeilen und damit aus dem Bewusstsein der Welt gefallen. Aus dem Jemen kommen kaum Flüchtlinge zu uns, “weil es schlicht keine Fluchtrouten gibt.” Der Krieg tobt seit fünf Jahren, mehr als 200 000 Menschen wurden getötet, zehn Millionen Menschen sind vom Hungertod bedroht. Eine Militärkoalition, gestützt von Saudi-Arabien und den arabischen Emiraten, kämpft gegen die Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. Aber das ist nur eine verkürzte Beschreibung, längst hat sich dieser Kronflikt zum Stellvertreterkrieg ausgeweitet, in dem klare Fronten nicht mehr zu erkennen sind. Doch “immer sind es die kleinen Leute, die den Preis für einen Krieg zahlen müssen.”
Schreiben bei Kerzenlicht
“Irgendwo, im Süden dieser Welt” sitzt die Journalistin Bushra al-Maktari bei Kerzenlicht,
“wie damals, zu Kriegsbeginn. Das Dröhnen der Explosionen schwillt an, die Fenster meiner Wohnung klirren ... Explosionen, die Menschen aus ihrem Schlaf reißen – und nicht selten aus ihrem Leben – bilden den Soundtrack meines Schreibens über die Opfer des Krieges.”
Menschen, die von Granaten zerfetzt und in Gefängnissen zu Tode gefoltert werden, die sich von Hilfsorganisationen im Stich gelassen und von der Welt verlassen fühlen und ein Leben in ständiger Angst vor dem nächsten Angriff führen.
Ziellose Angriffe
Der zehnjährige Nasser wird aus dem Hinterhalt von einem Scharfschützen erschossen, der sich ein ganzes Kriegsjahr lang in einer Wohnung gegenüber der Küche der Familie positioniert hatte. Insassen eines Gefängnisses, halbtot gefoltert, müssen mit ansehen, wie nach einem Angriff der Militärkoalition die Menschen bei lebendigem Leib verbrennen. Aya und Raghad, 12 und 10 Jahre alt, wollten nur Wasser aus dem Tank vom Dach holen und werden von einer Granate getroffen ... später wird auch ihr Vater getötet und ihre schwangere Mutter verliert bei einem Bombenangriff ihr Kind. Ein Kampfflugzeug durchlöchert ein Fischerboot, in einer Chipsfabrik landet eine Rakete in der Fritteuse – in der Feuersbrunst verbrennen zwölf Arbeiterinnen bis zur Unkenntlichkeit, eine von ihnen können die Hinterbliebenen nur anhand des verglühten Silberrings an ihrem Finger identifizieren.
Ständige Todesangst
Es ist schwer auszuhalten, was die Autorin beschreibt: Abgetrennte Köpfe, gespaltene Körper, Leichenteile, die eingesammelt werden, um sie zu beerdigen. Die verzweifelte Suche nach einem Arzt, nach Medikamenten, nach einem Bett im Krankenhaus, die permanente Alarmbereitschaft, die Todesangst, die zum ständigen Begleiter wird. Sie
“wohnt in unseren Herzen und verlässt uns nie ... wir richten unseren gesamten Tagesablauf nach den Granaten, die ununterbrochen herabfallen ... Niemand wagt es nachts aus Angst vor den Scharfschützen, auch nur eine Kerze anzuzünden ... Kein Lichtschein, auf den Scharfschützen zielen könnten, darf nach außen dringen. Wir leben wie Höhlenmenschen in ewiger Nacht.”
Es sind Protokolle des Grauens, sachlich und doch voller Mitgefühl und Trauer aufgeschrieben, weil die Autorin es schafft, Vertrauen aufzubauen, sodaß die Opfer wagen, ihre tragischen Schicksale zu erzählen.
Die Apokalypse
Bomben fallen scheinbar ziellos, legen Häuser in Schutt und Asche oder lassen sie mit all ihren Bewohnern in tiefen Kratern versinken. Was übrig ist, fällt in die Hände von Plünderern, oft sind es die Rettungskräfte. Blockaden zwingen die Menschen, sich der Demütigung oder Gewalt von Soldaten am Checkpoint auszusetzen, nur weil sie Essen für ihre Kinder kaufen wollen - “Das ist kein Krieg, sondern eine Apokalypse.”
400 tragische Geschichten hat Bashra al-Maktari gesammelt, 43 davon sind in diesem verstörenden und beklemmenden Buch zu lesen. Dass es überhaupt auf deutsch erscheinen konnte, ist vor allem Monika Bolliger, der ehemaligen Nahost-Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung zu verdanken.
“Ihr Buch ist ein 'Dorn im Auge des Mörders'. Damit die Verbrechen schwarz auf weiß bezeugt sind, damit niemand sagen kann, man habe nichts davon gewusst.”
(Christiane Schwalbe)
Bushra al-Maktari, *1979, Journalistin und Schriftstellerin, lebt in Sanaa/Jemen
Bushra al-Maktari "Was hast du hinter dir gelassen"
Stimmen aus dem vergessenen Krieg im Jemen
Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl
Herausgeber: Constantin Schreiber
Ullstein Buchverlage 2020, 320 Seiten, 24,99 Euro
eBook 22,99 Euro