Mohamed Amjahid
Unter Weissen
Was es heißt, privilegiert zu sein
Wer Menschen "Migrationshintergrund" persönlich kennt, der weiß, wie sehr sie diesen Begriff ablehnen, weil er ihnen einen Stempel aufdrückt, sie ausgrenzt, zu ewig "Fremden" macht.
Studium in Deutschland
Mohamed Amjahid ist als Sohn marokkanischer Eltern in Deutschland geboren. Sie kamen als Gastarbeiter hierher, gehörten zu denen "ganz unten".
"Sie haben in Deutschland dauernd auf uns herabgeschaut, erklärte unsere Mutter damals immer wieder. "Wir waren Ausländer, egal, was wir gemacht haben".
Die Eltern entschieden sich damals zur Rückkehr in die Heimat, da war Mohamed sieben. Er kam nach dem Abitur wieder, studierte in Deutschland, arbeitet heute als Reporter beim ZEIT-Magazin.
Alltäglicher Rassismus
Damals Gastarbeiter, heute "Migrationshintergrund". Die Begriffe mögen sich verändert haben, nicht aber ihre Auswirkungen, die der Autor tagtäglich erlebt:
"Rassismus geschieht zugleich ganz konkret, nebenbei, unbewusst, gedankenlos. Ohne nachzudenken beurteilen wir Menschen nach Kategorien wie Name, Muttersprache, Herkunft, sichtbare Religionszugehörigkeit oder Hautfarbe … Wir alle hegen rassistische Vorurteile. Auch ich. Niemand ist frei von Rassismus."
Amjahid berichtet von den Erfahrungen, die er mit der Aufteilung in Weiße und Nichtweiße gemacht hat, von den Privilegien auf der einen und dem Kampf um Zugehörigkeit auf der anderen Seite. Er tut es sachlich, klar, ohne Anklage. Aber es ist kein "privates" Buch mit ausschließlich persönlich erlebten Situationen, er belegt mit vielen, zum Teil erschreckenden Beispielen den versteckten Rassismus, und plädiert dafür, differenziert zu urteilen, wertschätzend und auf Augenhöhe mit Migranten umzugehen und mehr interkulturelle Sensibilität zu entwickeln.
N-Wort
Das fängt bei der Sprache an: Der Autor erinnert beispielsweise an die Diskussion um die sogenannten "Negerküsse" (die heute Schaumküsse heißen) ebenso wie an die Debatte, ob man das N-Wort aus Kinderbuchklassikern entfernen oder die Berliner U-Bahn-Station "Mohrenstraße" umbenennen müsse, und an den 'wunderbaren Neger' Roberto Blanco und seine lockere Reaktion auf diese Aussage eines CSU-Politikers. Denn auch das gibt es: die Rolle als "guter Migrant", der verbale Entgleisungen achselzuckend hinnimmt.
Weißer Retterkomplex
Was sich angesichts des Flüchtlingszustroms besonders ausgeprägt hat, ist ein "weißer Retterkomplex", den Amjahid im Dorf erlebt hat, in dem seine Schwester inzwischen lebt und in dem man ihm, den längst in Deutschland sozialisierten und etablierten Journalisten, in betont langsamem Deutsch erklärt, was ein Fahrradweg ist:
"Nichtweiße sind demnach weniger selbständig, man muss ihnen die Welt erklären und sie letztlich sogar vor sich selbst schützen."
Amjahid findet Rassismus natürlich auch in den Medien: Selbst erlebt, wenn er zum Beispiel mit "Hallo Ahmadinedschad" oder als "Hipster-Salafist" begrüßt wird, oder als Unterhaltungssendung "Das Mutcamp" im Kinderkanal:
"Deutsche, meist weiße Kinder fahren nach Afrika und müssen sich auf diesem 'gefährlichen Kontinent' voller Armut und Krankheiten, voller Kriminalität und wilder Natur waghalsigen Mutproben stellen."
Weißes Enkelkind
Es ist ein großer Bogen, den Mohamed Amjahid von der alltäglichen Diskriminierung über Rassismus im Ostblock bis zu den NSU-Prozessen in Deutschland spannt und mit einer Vielzahl von Fakten untermauert. Ganz privat erlebt er, dass das Stereotyp vom guten Weißen bis heute Spuren hinterlässt, auch bei seiner Mutter, die sagt:
"Mohamed hat es geschafft – im Land der Weißen. … Bis heute betont meine Mutter immer wieder minutiös, wie ihre Traumschwiegertochter aussehen sollte: blaue Augen, blondes Haar, weiße Haut … und ein süßes weißes Enkelkind, das im Leben erfolgreich ist und nicht diskriminiert wird."
Ein lesenswertes und wichtiges Buch, auch wenn – zugegeben – der Begriff "Biodeutsche" etwas gewöhnungsbedürftig ist.
(Christiane Schwalbe)
Mohamed Amjahid, *1988 in Frankfurt a. M., ist politischer Reporter und Redakteur beim ZEITmagazin. Er wurde ausgezeichnet mit dem Alexander-Rhomberg-Preis für Nachwuchsjournalismus und war nominiert für den CNN Journalist Award. Er lebt in Berlin.
Mohamed Amjahid "Unter Weissen"
Was es heißt, privilegiert zu sein
Hanser Berlin 2017, 190 Seiten, 16 Euro
eBook 11,99 Euro