Jasna Zajček
Kaltland
"Neu in Deutschland Angekommene und ihre Paten müssen viel Geduld und einen leeren Aktenordner mitbringen. Eine ordentliche Portion Disziplin zum Deutschlernen nicht zu vergessen und natürlich die Breitschaft, ihr bisheriges Weltbild zu verändern und den hiesigen Werten anzupassen."
Auf Augenhöhe
Mit diesem Anspruch umschreibt Jasna Zajček die Mindestanforderungen für eine erfolgreiche Integration und respektvollen Umgang mit Geflüchteten, eine Art Basis, auf der vielleicht gelingen kann, was Angela Merkel so großzügig mit "wir schaffen das" umschrieben hat. "Ihr bisheriges Weltbild zu verändern" gilt allerdings auch für die Helfer, die Paten und Ehrenamtlichen, wenn sie nicht nur voller Idealismus und fürsorglich, sondern auf Augenhöhe mit Geflüchteten umgehen wollen.
Es gilt auf beiden Seiten, neue Erfahrungen mit zum großen Teil traumatisierten Menschen zu machen, die mehr als den Krieg hinter sich lassen, wenn sie es nach Europa schaffen. Sie haben ihre Heimat, ihre Familien, ihre soziale Stellung, ihr Vermögen verloren. Und werden in einem Land empfangen, in dem es zwar eine Willkommenskultur gibt, in dem aber zunächst von Behörden reguliert wird, was sie suchen: Eine Zukunft.
"Alle haben ein schlechtes Gewissen, in Sicherheit zu sein, während der Rest der meist vielköpfigen Familie weiterhin im Krieg ausharren muss."
Kenntnisreich
Jasna Zajček hat ein sehr persönliches Experiment gewagt. Sie hat sich ins nicht gerade für Fremdenfreundlichkeit bekannte Sachsen gewagt, um in einer Flüchtlingsunterkunft in Tipschitz bei Bautzen Deutsch zu unterrichten.
"Dort, wo die Flüchtlingskrise 'Asylantenflut', 'Asylantenschwemme' oder 'Umvolkung' heißt … Dort, wo Syrer als 'Flüchtigranten, 'Merkelanten' oder 'Scheinsylanten' und Menschen schwarzer Hautfarbe als 'stark pigmentierte Kulturbereicherer' verhöhnt werden."
Sie bringt für ihre Arbeit beste Voraussetzungen mit – studierte Islamwissenschaftlerin, Journalistin und Nahostkorrespondentin, die jahrelang in Damaskus gelebt hat, arabisch in unterschiedlichen Dialekten spricht und die Mentalität der Menschen in diesen Ländern genau kennt.
"Da ich Syrien häufig bereist und lange in Damaskus und in Beirut gelebt habe, habe ich eine recht gute Menschenkenntnis, was Menschen aus dem Nahen Osten, Muslime wie Christen, angeht. Syrer der superreichen Oberschicht, Armeeangehörige, Beamte, Studierte und Facharbeiter sind für mich schnell von bitterarmen, analphabetischen und besonders Hilfsbedürftigen zu unterscheiden."
Vorurteile und Aggressionen
Allein diese Aussage macht schon klar, wie schwierig der Umgang mit Geflüchteten ohne solche Vorkenntnisse ist, ihre (Kriegs)ängste, Orientierungslosigkeit, Schleppererfahrungen, Verzweiflung und Depressionen noch gar nicht eingerechnet. Was Jasna Zajček erlebt, ist so etwas wie die Summe aller guten und schlechten Erfahrungen mit und von Geflüchteten: Vorurteile, religiöse Konflikte, Aggressionen, Diskriminierungen, überhöhte Erwartungen und Ansprüche seitens der Flüchtlinge, ihre Traumata und ihre Hilflosigkeit, wenn sie zuhause noch nicht mal eine Schule besucht haben. Natürlich gibt es auch solche, die meinen, mit Schmiergeld alles ereichen zu können - wie in ihrer Heimat üblich.
Das alles wird wie in einem Mikrokosmos gespiegelt, erweitert durch Erfahrungen mit der Trägheit und Unfähigkeit von Behörden (schon in Berlin). In Sachsen erlebt sie
"Kaltland, das Land, in dem Häuser für Schutzbedürftige brennen … Hier treffen DDR-Tristesse, ein alles umgebendes Flair des Dörflichen und das internationale Flüchtlingsdrama täglich live, direkt und unmoderiert aufeinander."
Blick auf Opfer und Gewinner
Verdienst ihrer überaus lesenswerten, klugen und einfühlsamen Reportage: Subjektive Eindrücke zu schildern, stets ergänzt mit wichtigen Fakten und Informationen, nicht nur die Opfer zu sehen, sondern auch jene, die allzu dreiste Forderungen stellen, und kritisch zu sein nach allen Seiten. Meint: Sowohl bei Geflüchteten als auch bei Einheimischen und Ehrenamtlichen fehlendes Wissen, Unfähigkeit, Hilflosigkeit oder Dreistigkeit zu benennen. So sind eindrucksvolle Situationsbeschreibungen und berührende Porträts entstanden, die ein ziemlich genaues Bild dessen zeichnen, was gemeinhin als Flüchtlingskrise bezeichnet wird – letztendlich aber Veränderungen in unserer Gesellschaft bedeutet.
Ihr Fazit: "Wir werden noch viel Zeit für Erklärungen brauchen" – auch das gilt für beide Seiten ebenso wie die Notwendigkeit, voneinander lernen und die jeweils andere Kultur verstehen zu wollen. Sonst wird Integration nicht funktionieren.
(Christiane Schwalbe)
Jasna Zajček, *1973, Journalistin u.a. für arte, 3Sat, Spiegel online, lebt in Berlin
Jasna Zajček "Kaltland - Unter Syrern und Deutschen"
Roman, Verlag Droemer 2017, 256 Seiten, 19,99 Euro
eBook 17,99 Euro