Martin Osterberg
Das kalte Haus
Meine unglückliche Kindheit in einer heilen Familie
"Ich bin ein Veteran des Krieges zwischen mir und meinem Vater." Der Krieg, den Martin Osterberg rekapituliert, ist ein kalter Krieg. Als Abiturient hat er ihn für beendet erklärt, als er das Elternhaus verließ und zum Studium nach Berlin ging.
Tiefe Selbstzweifel
Doch jedes Telefongespräch, jeder Besuch, jede Geburtstagsfeier weckt die Erfahrung des Kindes, des Jungen im Haus der Eltern wieder auf:
"Familie, das war Langeweile und Unfrieden, Stillstand und Grabesruhe. Familie war eine Zelle in einem Gefängnis, aus dem man am besten so schnell wie möglich flüchtete. Familie war alles, was ich nicht mehr wollte, alles, was ich nie wieder wollte."
Selbst die eigene Familie, die mit zwei Töchtern zum Schutzraum gegen Lieblosigkeit und Kälte wurde, kann die Selbstzweifel in den dunkelsten Stunden des Autors nicht gänzlich vertreiben; das Refugium, das jeder Mensch haben sollte, die Gewissheit, fraglos geliebt und getragen zu werden, ein Zuhause zu haben, entsteht in Familien, wie er sie als Kind erlebte, nicht wirklich. Dass er sich unter dem Pseudonym Martin Osterberg noch einmal auf den Weg zurück gemacht hat und die Stationen seiner Kindheit und Jugend in der Wohlstandsversorgung beleuchtet, ist eine große Stärke seines Buchs.
Ohne Selbstmitleid
Wie der Hass, den das Kind empfindet und nährt, wenn es feststellt, dass seine Bedürfnisse niemals genau in Betracht gezogen werden, vom Jugendlichen in Gefühllosigkeit verwandelt wird, beschreibt er mit beachtlichem Erinnerungsvermögen und ohne Selbstmitleid. Erst der Vergleich mit warmherzigeren Familien und Menschen bietet ja die Chance, sich anders als die Eltern zu entwickeln, und Martin Osterberg setzt sich zugleich auch damit auseinander, wie sehr man dennoch geprägt bleibt, von den Menschen, die einen versorgten. Der Vater, der im Beruf erfolgreich war, sein Haus selbst baute:
"der Mann, der immer recht hatte, der noch nie eine Entscheidung bereut hatte, dem nie etwas leid getan hatte, keine Beschimpfung, kein Herumschreien, keine Verletzung, kein Arschloch.“
Ohne Nähe
Osterberg weiß, dass dieser wortkarge Mann andere klein macht, machen muss und sich niemals ändern wird. Dass er ihn nicht schlug und mitunter großzügig sein konnte, reicht nicht aus, Nähe herzustellen, auch nicht im Alter, auf dessen Milde meist vergeblich gehofft wird. Vier Wochen lang war der Vater mal anders, als der Sohn 13 Jahre alt war, heiter und zugewandt, verliebt vielleicht, doch das war zur Beruhigung der Mutter schnell vorbei und bleibt in Osterbergs Buch ein besonders bitterer Widerhaken. Wie viel Wärme mit liebevoller Genauigkeit zu tun hat, macht auch das Bild der Mutter deutlich, der kaum jemand mehr zuhört:
"Ich sage mir dann, sie erzählt ja doch immer nur dasselbe. Aber auch: Immerhin spricht sie. Allerdings spricht sie nie etwas aus, das wichtig wäre. Oder zumindest nicht das, was ich wichtig fände. Aber darüber spreche ich auch nicht, jedenfalls nicht mit meinen Eltern.“
Warten auf das Leben
Die Erfahrung, im Elternhaus der langen Nachkriegszeit unsichtbar zu sein und nur darauf zu warten, bis das eigene Leben beginnen kann, teilt der Autor mit vielen seiner Generation. Sein Buch erzählt nicht von Schrecken und von Gewalterfahrungen, sondern davon, wie Kinder ganz unspektakulär verkümmern, wenn sich die Eltern in der Leere und Gefühlsarmut einrichten, im Schweigen, in bloßer Pflichterfüllung.
(Lore Kleinert)
Martin Osterberg (Pseudonym) arbeitet als Journalist in Berlin
Martin Osterberg "Das kalte Haus"
Meine unglückliche Kindheit in einer heilen Familie
Piper Verlag 2017, 304 Seiten, 20 Euro
eBook 18,99 Euro