Andrea Gerk
Lob der schlechten Laune
Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts taucht der Begriff "Laune" auf, "die Laune sei die Stellung des Gemüthes, und zwar vor allem, insofern sie veränderlich sei", heißt es 1777 in Adelungs Wörterbuch.
Lächelzwang
Luna, der Mond stand Pate für die Vorstellung des unberechenbaren Glücks, und Immanuel Kant betonte das Willkürliche und Unterhaltsame an der "launichten Manier" als einer Spielart des Humors. Ein breites Spektrum, das die Autorin Andrea Gerk kundig und höchst unterhaltsam präsentiert: Die 'grumpy old men' wie Ekel Alfred Tetzlaff oder C.W. Fields begegnen den reizbaren Damen des Theaters und der Literatur, die kreativen und zugleich ängstlichen Choleriker wie Heimito von Doderer widersetzen sich gemeinsam mit Melancholikern wie W.G. Sebald oder Richard Burton dem Lächelzwang. Sie alle schlagen der verordneten Freundlichkeit moderner Serviceberufe ein Schnippchen, ganz im Sinne der Oktopusse und Kraken mit ihren zahlreichen Gehirnen, die sich mittels Farbveränderung und Einnebelung sowohl schützen wie auch lästiger Kommunikation entziehen:
"Was wir schlechte Laune nennen, ist wie ein Druck auf die Tintendrüse: eine Portion Garst und Gift versprühen, um den unaufhörlichen Strapazen zwischenmenschlicher Beziehungen und Auseinandersetzungen zu entkommen."
Mit Abstand amüsant
Wie schon in ihrem letzten Buch "Lesen als Medizin" (2015) hat Andrea Gerk die Hirnforschung ebenso zu Rate gezogen wie die Philosophen, von denen Wilhelm Schmid schon 1998 für ein "Menschenrecht auf schlechte Laune" plädierte, - "damit wir nicht einschlafen auf der positiven Seite." Neben Kino und Theater untersucht sie unter den Künsten vor allem die Literatur, um der 'Mieselsucht', dem Griesgram, dem Missmut oder Grant näher zu kommen. Sie lässt sich, auch in Gesprächen mit berufenen Schlechte-Laune-Experten, dabei von der Frage leiten, warum eine Gemütslage, die uns im Alltag auf die Palme bringt –
"die pampige Kellnerin, der wortkarge Busfahrer, der schimpfende Hausmeister und vor allem der mürrische Partner oder die trotzigen Kinder - hochgradig amüsant (ist), wenn sie uns in Büchern, Filmen, Theater, Musik oder Kunst begegnet."
Zahlreiche Beispiele führt sie an, wie sehr uns die Komik unkontrollierten, bösartigen oder maßlosen Verhaltens amüsiert – wenn wir Abstand dazu halten können, und den gewähren Kunst und Unterhaltung bereitwillig.
Die besten Schlechte-Laune-Texte stammen nicht ganz zufällig aus Österreich. Hier lebte Andrea Gerk viele Jahre und lässt sich vom Spiel mit dem "Gestus des Schimpfens und Nörgelns" inspirieren: von Thomas Bernhard bis zu Peter Handke, Johann Nestroy bis Elfriede Jelinek.
Drei Seiten
Die hier besonders ausgeprägte Lust am kunstvollen Schimpfen hat ihre Wurzeln möglicherweise im katholischen Barock, sicher ist aber, dass es auch in China, Altarabien, bei den Griechen und den Germanen (Johan Huizinga in Homo ludens) bis zu Battles, schwarzer Rapper aus den Ghettos, Schimpfwettstreite und Schimpfturniere gab, vermutlich schon immer, um dem unverfälschten Eigensinn des Menschen jenseits von Kraft oder Schönheit näher zu kommen.
Die Autorin auf ihrem Weg durch die Spielarten menschlichen Missmuts zu begleiten, ist ein großes Vergnügen, ganz im Sinne des genialen Pessimisten und 'Wortzerklauberers' Karl Valentin:
"Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische."
(Lore Kleinert)
Andrea Gerk *1967 in Essen, Literatur- und Theaterkritikerin, Radiomoderatorin, lebt in Berlin
Andrea Gerk "Lob der schlechten Laune"
Kein & Aber 2017, 304 Seiten, 24 Euro
eBook 19,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Andrea Gerk
"Lesen als Medizin" - Die wundersame Wirkung der Literatur