Edward Gorey
Der Osbick-Vogel
Lange, dünne Storchenbeine mit krallenbewehrten Zehen hat er, der Osbick-Vogel, und sie sind das Erste und auch Letzte, was wir von ihm sehen.
Zwei Einzelgänger
In munteren Zweizeilern erzählt Edward Gorey die Geschichte einer Begegnung: zunächst zielt der Vogel gut – auf Emblus Fingbys runden Hut, und das, weil er bei und mit dem fein gekleideten, viktorianischen Gentleman leben will. Nicht ganz konfliktfrei, diese fantastische Begegnung zweier Einzelgänger, denn gemeinsames Teetrinken, Mittagschlaf, Kanufahrten und Pflanzenpressen verhindern nicht, dass sich das "odd couple" nach einem Streit beim Kartenspiel auch mal anschweigt:
"Und darauf wurde ein, zwei Wochen
Im Hause nicht ein Wort gesprochen"
Phantastische Welten
Bis sie gemeinsam wieder die Zeit vergessen, wunderbar gezeichnet und in der Übersetzung von Clemens J. Setz als kleine Kostbarkeit verewigt: Muntere Zweizeiler zu jeder akribisch feinen, schraffierten Zeichnung, und ein großer Bogen vom Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft bis zum Abflug und Aufbruch des Vogels mit dem mächtigen Schnabel in andere, phantastische Welten. Edward Gorey präsentiert das Unwahrscheinliche so selbstverständlich, das Makabre so amüsant, dass Kinder und Erwachsene gleichermaßen Freude an seinen Geschöpfen empfinden können.
Schwarzer Humor
Ein winziges, wunderschönes Buch, jahrzehntelang in Edward Goreys Nachlass begraben, erst zwölf Jahre nach seinem Tod im Jahre 2000 entdeckt und jetzt als sechste skurrile Bildergeschichte des begnadeten Illustrators und ironiebegabten Autors im Lilienfeld-Verlag erschienen: Für alle, die sein Werk nicht kennen, eine erbauliche erste Begegnung, für alle anderen eine weitere große Freude am schwarzen Humor und der Parodie viktorianischer Tugendregeln.
(Lore Kleinert)
Edward Gorey,*1925 in Chicago, amerikanischer Autor und Illustrator, gestorben 2000
Edward Gorey "Der Osbick-Vogel"
Aus dem Englischen von Clemens J. Setz
Lilienfeld Verlag 2020, 32 Seiten, 14 Euro