Doris Dörrie
Die Welt auf dem Teller
Inspirationen aus der Küche
Was wir in der Kindheit essen, das prägt unseren Geschmack nicht selten ein ganzes Leben lang: “Jede Familie hat ihre Essgeschichten: ihr Lieblingsessen, verhasstes Essen, ihre Fest- und Urlaubsessen.”
Knust mit Butter und Salz
Doris Dörrie ist Brotfanatikerin: “Am besten frisches Brot, vor allem die Kruste und am allerliebsten der Knust. So heißt das in Norddeutschland, woher ich komme, Scherzl in Süddeutschland, wo ich lebe. Das Endstück also.” Als Einzelkind kein Problem, aber sie hat drei Schwesern, die diesen Knust genauso gern essen, mit Butter bestrichen und mit Salz bestreut. Kalbshirn dagegen löst extremen Widerwillen aus. Bis zum heutigen Tag hat sie es nur einmal gegessen – besser nicht gegessen – in Italien, wo das Gericht unter einer Silberhaube serviert wurde, für jedes Kind eins.
Thunfisch und salzige Pflaume
Später hat Japan eine prägende Rolle übernommen, denn wann immer die Autorin und Filmemacherin dort nach zehn Stunden Flug ankam, kaufte sie sich heißen grünen Tee aus dem Automaten und ein Onigiri, ein Reisbällchen, gefüllt mit Lachs, Thunfisch oder salziger Pflaume. Spaghetti lernte sie in Italien lieben, eine Orange erinnert sie an die komplett orange gestrichene und eingerichtete Wohnung eines Gurus und an einen Brief an Fidel Castro, geschrieben auf spanisch für einen alten Mann. Bei Schokolade wird sie so schwach wie ihr Vater, der offenbar Unmengen davon gegessen hat:
“Nicht ein lächerliches Stückchen oder einen Riegel, sondern ganze Tafeln. Immer schwarz. Schokolade wurde nach jedem Essen ausgeteilt wie überlebenswichtige Medizin.”
Kulinarische Weltreise
Aus stinkigem alten Grünkohl ist “ultrahipper Kale” geworden, als Wonderfood aus Kalifornien nach Deutschland zurückgekehrt, und auch das koreanische Kimchi erfreut sich hierzulande großer Beliebtheit, fast wie in Korea,
“wo jeder glaubt, dass es ohne Kimchi kein Leben auf diesem oder irgendeinem anderen Planeten geben kann.”
Doris Dörrie macht mit uns eine bunte kulinarische Weltreise, verweist aber auch auf den ökologischen Irrsinn mancher Moden – Kaffee to go in Pappbechern auf der Straße oder Kapselkaffee aus der heimischen Espressomaschine,
“auf dass wir umgerechnet pro Kaffee ein Vielfaches zahlen und die Aluminiumvorkommen der Welt ausbeuten, bevor wir ... beim Filterkaffee unserer Ahnen schwören, nur noch recyclefähige Kapseln zu verwenden oder die gebrauchten brav zurückzubringen.”
Sie beklagt den immensen Wasserverbrauch bei der Avocadoproduktion ebenso wie den wachsenden Anteil von Mikroplastik in Schalentieren, weil die Meere entsprechend verseucht sind. Mit einem Augenzwinkern kritisiert sie die Veränderungen ihrer Essgewohnheiten, ausgelöst durch Zivilisationsleiden, Diäten, Fastenprogramme, Nahrungsmittel-Moden und den Trend zu mehr vegetarischer und veganer Kost - “Verzicht wurde mein neuer Genuss”.
Lust am Genuss
Aber ihre Lust am Essen und Genießen behält die Oberhand, und ihre unnachahmliche Beobachtungsgabe - beispielsweise männlichen Verhaltens beim Grillen - bringen die "Welt auf dem Teller" wieder zurück nach Hause und in heimische Küche. Ein überaus vergnüglicher Streifzug durch Kindheitserinnerungen und Reiserlebnisse.
(Christiane Schwalbe)
Doris Dörrie, *1955 in Hannover, deutsche Filmregisseurin und Autorin von Drehbüchern, Romanen, Kurzgeschichten und Kinderbüchern, lebt in München
Doris Dörrie "Die Welt auf dem Teller"
Inspirationen aus der Küche
mit Illustrationen von Zenji Funabashi
Diogenes, 208 Seiten, 22 Euro
eBook 18,99 Euro
Weiterer Buchtipp zu Doris Dörrie
"Die Heldin reist"