Elke Heidenreich
Männer in Kamelhaarmänteln
Kurze Geschichten über Kleider und Leute
In ihrem Leben gab es einen einzigen Mann, der einen Kamelhaarmantel tragen durfte, das war ihr Vater. Nur er trug ihn richtig, nämlich lässig offen, damit er im Wind wehen konnte.
Vertauscht
Aber der Vater war eben auch ein windiger Kerl,
"der immer irgendwo ein Fläschchen Prosecco in den Taschen hatte und kaum je zum Essen nach Hause kam, dann irgendwann gar nicht mehr kam."
Ein anderer Mann hatte versehentlich die Mäntel vertauscht und spät gemerkt, dass der "irgendwie zu eng" war. Mit ihm geht sie noch in die Bar ...
"Unsere Liebe dauerte vier Jahre. Wir erzählten die Geschichte mit dem Mantel noch oft. Den Mann habe ich verloren, den Mantel trage ich immer noch. Manchmal. Traurig."
Tiefrot und giftgrün
Viele der kurzen Geschichten über Kleider und Leute sind autobiografisch. Es sind Geschichten aus dem Leben, Erinnerungen. Nicht alle erzählen von der Autorin, sondern auch von Freundinnen, Freunden, Liebhabern, Prominenten: Frida Kahlo zum Beispiel. Ihr Kleiderschrank blieb nach ihrem Tod lange verschlossen, wurde erst 2004 geöffnet. Bunt, prachtvoll und üppig, so zeigen sich "Fridas Kleider" im gleichnamigen Buch, eröffnen ein
"Schlaraffenland der seidenen Röcke, Fransenschals, bedruckten Überwürfe, gestickten Boleros, der tiefroten, kobaltblauen, giftgrünen Stoffe ... ein Feuerwerk an Eleganz, Sinnlichkeit, Lebenslust und ein Spaziergang durch ganze zum Teil versunkene Kulturen."
Reformkleid
Nach dem Tod ihrer Mutter löst Elke Heidenreich den Haushalt auf und stopft alle Kleider, Mäntel und Jacken in Säcke – bis ihr einfälllt:
"Sie hatte ja in allen Taschen und Jacken immer Geld bei sich .. Am Ende der Aktion lagen 378 Mark 50 auf dem Tisch."
Eine andere Geschichte erinnert an den "Verein zur Verbesserung von Frauenkleidung" und an eine Ausstellung mit Vorschlägen für eine reformierte Frauenmode: Weg mit Korsetts, Rüschen und langen Röcken. Von Hosen war noch lange nicht die Rede, aber von einem praktischen Sackkleid, locker fallend und bequem – dieses Reformkleid setzte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg wirklich durch, als Frauen Männerarbeit tun mussten.
Erst lang, dann kurz
Und dann gibt es noch die Geschichte vom rot-grün karierten Kleidchen, unter dem sie als Kind eine derbe Cordhose trug. Und die Geschichte vom aufsehenerregenden Hut mit Feder – nach Vollendung ihres ersten "richtigen" Buches. Und die von den vielen langen Hosen, aus denen - schnippschnapp - kurze wurden. Und die Geschichte vom verregneten Papierkleid, von Karl Lagefeld, von den weissen Nachthemden und von Maurice Ravel, dem genialen Komponisten mit plissierten Hemden, Monokel und Lackschuhen.
Nero Corleone
Und natürlich fehlt nicht die Geschichte vom sündteuren italienischen Seidenkleid, in dem Kater Nero begraben wurde, der Kater,
"... dem ich alles verdanke. Nero war ein quiekendes, vernachlässigtes Bündel auf einem italienischen Bauernhof gewesen, ich hatte ihn mitgenommen und zu einem starken, großen, deutschen Kater herangefüttert. Er war ein Filou, ein Charmeur, ein Räuber von Wurst, Gefühlen und Singvögeln, ein Mörder, ein Liebhaber, ein Mafioso. Nero Corleone.... Dieser Kater hatte mein Leben vergoldet. Ach, in jeder Hinsicht."
Und er wurde ein literarischer Held.
Elke im Ohr
Da ist noch diese Geschichte über die grüne Seidenjacke einer Schauspielergattin und den kritischen Blick einer aufmerksamen Lokaljournalistin ... und jene über rote Schuhe und, und ... ach, lesen Sie einfach los. Das Buch ist urkomisch, melancholisch, manchmal traurig, sehr weise, klug und immer unterhaltsam. Das Schöne ist: Man hat beim Lesen irgendwie immer die echte Elke Heidenreich im Ohr. Ein großes Vergnügen also.
(Christiane Schwalbe)
Elke Heidenreich, *1943 in Korbach/Hessen, Drehbuch- und Hörspielautorin, Moderatorin, lebt in Köln
Elke Heidenreich "Männer in Kamelhaarmänteln"
Kurze Geschichten über Kleider und Leute
Hanser 2020, 224 Seiten, 22 Euro
eBook 16,99 Euro, AudioCD 15,29 Euro
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“Alte Liebe“