Elke Heidenreich
„Altern”
Zwei knappe Seiten zum Auftakt, Überschrift: „Ich habe mein Leben komplett in den Sand gesetzt oder: Ich hatte ein unfassbar wunderbares Leben. So. Und nun suchen Sie sich aus diesen zwei Lebensversionen doch bitte eine aus.” Es kommt halt immer auf die Perspektive an, nur gut oder nur schlecht ist kaum ein Leben im Rückblick.
Nicht nichts tun
Elke Heidenreich ist 81 und umtriebig wie eh und je - geistig, körperlich, sozial und beruflich - als Autorin und Kritikerin. Aus gutem Grund: Wer es sich im Alter bequem macht und ständig auf dem Sofa mit Chipstüte vor dem Fernseher sitzt, der muss sich nicht wundern, wenn er krank und einsam wird. Öfter mal Sofa darf sein, man wird schließlich langsamer, das ist auch gut. Aber ansonsten: In Bewegung bleiben. Treppensteigen hilft schon viel, selbst wenn man schnaufend oben ankommt, wie Elke Heidenreich, wenn sie es in ihr Arbeitszimmer unter'm Dach geschafft hat. Treppen gibt's zum Glück überall.
„Ich beneide niemanden ums Nichtstun. Auch Zipperlein stellen sich ja dann gern ein, wenn sonst nichts ist. ... Nur herumsitzen und auf den Tod warten und in der Zwischenzeit über alles jammern, was zwickt, und allen anderen die Schuld an der eigenen Misere geben, das kann's nicht sein."
Nie bitter werden
„Wir werden anders alt als unsere Eltern. Früher war man mit fünfzig abgearbeitet und alt. Heute sind viele Achtzigjährige geistig und körperlich noch fit und im täglichen Rennen. Die Welt ist im Wandel, wir wandeln uns mit, wir sind länger beweglich im Kopf als unsere Eltern es waren, wir haben auch eine viel bessere medizinische Versorgung.”
Aber Tabletten schlucken? Bloß nicht. Dieser „erbärmliche Tablettenschieber" ist ein Horror-Objekt für sie, gleichwohl nimmt sie brav welche, eine überschaubare Anzahl. Glück gehabt. Alt werden wollen alle, aber alt sein? Dabei ist jung sterben auch keine Alternative. Das Altsein mit seinen Einschränkungen zu akzeptieren, das ist die Kunst und die Aufgabe im Alter:
„Wichtig ist: nie bitter zu werden über Fehler, Verpasstes, falsche Entscheidungen. Seltsame Entwicklungen. Ändern kann man es nicht mehr. Nur akzeptieren."
Es gibt allerdings auch Dinge, die man nicht einfach akzeptieren sollte – z.B. dass die Alten an allem schuld sind. Dagegen wehrt sich Elke Heidenreich vehement, mit Recht und vor allem mit Fakten. Und mit Spott – sie ist schließlich "keine nette Alte", sondern so, wie man sie kennt: schnippisch und schnoddrig und mit klugen Gedanken - über Schönheitswahn und Jugendkult, Liebe und Leben und den schmerzlichen Tod von Freunden. Immer bringt sie die Dinge auf den Punkt:
„Wir sind doch nicht nur die alten selbstsüchtigen Deppen, die den heute Jungen das alles eingebrockt haben, verdammt noch mal. Wir haben Greenpeace gegründet und Amnesty International, wir haben die Grünen erfunden und gegen das Waldsterben gekämpft, und wir zahlen viel Geld an Ärzte ohne Grenzen. Wir haben demonstriert gegen Kriege und Waffen, wir haben die unterdrückte Sexualität befreit ... Schiebt uns Alten nicht die Schuld an allem zu."
Leben leben
Zum einen ist ihr Leben der rote Faden dieses überaus vergnüglichen und zugleich nachdenklichen Buches, das viel vom eigenen Erleben und Erinnern erzählt, ohne Autobiografie zu sein. Zum anderen lädt uns Elke Heidenreich in ihrem lebensklugen Essay zu einem abwechslungsreichen Spaziergang durch Philosophie und Literatur ein – von Seneca, Goethe und Elias Canetti bis Simone de Beauvoir, Silvia Bovenschen und Jane Campbell .... und dazwischen ganz viel Kluges, Inspirierendes und Komisches. Erstaunlich, wie viele Autorinnen und Autoren über das Alter und den Sinn des Lebens nachgedacht und klug geschrieben haben:
Ewig diese Sinnfrage. Was soll das sein, der Sinn des Lebens? Dabei ist es so einfach: Der Sinn des Lebens ist, das Leben zu leben, vom ersten Atemzug bis zum letzten." Und Keith Richards zitierend: „'Ein Mittag-oder Abendessen ohne ein Glas Wein ist lächerlich.' - Sag ich doch." (Christiane Schwalbe)
Elke Heidenreich, *1943 in Korbach/Hessen, Autorin von zahlreichen Bestsellern, Literaturkritikerin und Moderatorin, lebt in Köln
Elke Heidenreich „Altern”
Hanser Berlin 2024, Reihe: Leben
112 Seiten, 20 Euro
eBook 15,99 Euro, Hörbuch 11,59 Euro
Weitere Buchtipps zu Elke Heidenreich
“Männer in Kamelhaarmänteln“
“Alles kein Zufall“
“Alte Liebe“